Lettland und die Ukraine-Krise: Falken setzen Merkel unter Druck

Kanzlerin reist am Montag nach Riga. Dort dürfte sie aufgefordert werden, das Nein Berlins zur einer stärkeren Nato-Präsenz im Baltikum zu revidieren.

US-Fallschirmjäger beim Nato-Manöver „Saber-Strike“ am 9. Juni dieses Jahres im lettischen Adazi. Bild: reuters

STOCKHOLM taz | Schon länger geplant und ursprünglich wohl eher als Wahlkampfhilfe für die konservative Parteifreundin, Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma gedacht, geht die erste Auslandsreise von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem Sommerurlaub an diesem Montag nach Riga. Angesichts der Vorgänge in der Ukraine mit aktualisierter Tagesordnung: Themen der Gespräche sollen neben den deutsch-lettischen Beziehungen auch Sicherheitsfragen und die Auswirkungen des russischen Einfuhrstopps für Agrarprodukte sein.

Dabei sieht sich Angela Merkel vor ihrer Ankunft mit einem offenen Brief konfrontiert, den 31 vorwiegend Kulturschaffende in lettischen Medien verbreiteten. Darin wird die Kanzlerin aufgefordert, die ablehnende Haltung Berlins zu einer dauerhaften Nato-Präsenz im Baltikum zu revidieren. Deutschland wird unterstellt, aus wirtschaftlichen Motiven zu viel Rücksicht auf Russland zu nehmen. „Frau Merkel! Moral, einschließlich der politischen Moral, lässt sich nicht in den Kategorien von Geld fassen, und finanzielle Indikatoren dürfen nicht wichtiger sein als die Sicherheit europäischer Staaten.“

Die UnterzeichnerInnen halten es auch für angebracht, die Kanzlerin indirekt in die Nähe von Nazi-Außenminister von Ribbentrop zu rücken, sollte sie weiter Nato-Basen ablehnen: „Wir fordern Sie auf, den Aufbau von Nato-Stützpunkten in den baltischen Staaten und Osteuropa zu unterstützen! Ihre Zusage wird bezeugen, dass sich ein erneuter verräterischer Pakt der Art des Molotow-Ribbentrop-Abkommens in Europa nicht wiederholen wird.“

Abgesehen davon, dass Merkel nicht die richtige Adressatin für die Entscheidung über solche Stützpunkte ist – das Thema wird beim Nato-Gipfel in Wales Anfang September auf der Tagesordnung stehen –, müssen solche Vorwürfe und Vergleiche wohl vor dem Hintergrund der Anfang Oktober anstehenden Parlamentswahl gesehen werden.

Wer verbreitet am meisten Russenfurcht?

Die vier Mitte-rechts-Regierungsparteien und ihre Unterstützer scheinen sich im Wahlkampf darin überbieten zu wollen, wer am meisten Russenfurcht verbreiten und die weitestgehenden sicherheitspolitischen Wahlversprechen machen kann. Den Scharfmachern spielen dabei die Aktivitäten von innenpolitisch eher unbedeutenden Gruppen wie der Latvian Russian Union in die Hände.

Die ist im nationalen Parlament nicht vertreten, stellt aber die Europaparlamentarierin Tatjana Zdanoka und beschloss vergangene Woche eine Zusammenarbeit mit der „Russischen Einheit“ des Krim-Regierungschefs Sergei Aksjonow: Ziel der Kooperation solle eine „Stärkung der russischen Welt“ sein. Und eine Gruppe „Baltikum für Neurussland“ sammelt seit einiger Zeit für die „Patrioten“ in der Ostukraine Geld und Hilfsgüter.

Diese Organisationen könnten Lettland, wo jeder dritte Einwohner russischer Herkunft ist, destabilisieren, warnen der den „Grünen/Bauernpartei“ angehörende Verteidigungsminister Raimonds Vejonis und der lettische Verfassungsschutz. Eine solche Gefahr vermag Andis Kudors vom lettischen Zentrum für Osteuropastudien nicht zu sehen: „Es gibt keine ethnischen Spannungen zwischen Letten und Russen“, sagt er. Russland und derartige Gruppen versuchten aber, Unzulänglichkeiten der lettischen Integrations- und Sozialpolitik auszunutzen.

Statt an der Aggressionsspirale zu drehen, einen höheren Militäretat zu fordern und den Rüstungskonzernen das Geld in den Rachen zu werfen, wäre es besser in der Sozialpolitik aufgehoben, meint das oppositionelle linke Harmonie-Zentrum, die stärkste Parlamentspartei. Diese Einschätzung trifft die Stimmung eines Großteils der Bevölkerung wohl eher als die Falken. So floppt auf ManaBalss, einer Internetpetitionsplattform, die Forderung nach Nato-Basen gewaltig. Binnen drei Monaten begeisterten sich dafür nur 670 Wahlberechtigte.

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