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Kommentar Serbien und SanktionenNette kleine Nebenfront

Kommentar von Andrej Ivanji

Der EU-Beitrittskandidat Serbien nutzt die Sanktionen, um selbst mehr Waren nach Russland zu exportieren. Daraus kann die EU lernen.

Traditionell verbündet: Russlands Außenminister Sergej Lawrow mit seinem serbischen Kollegen Ivica Dacic. Bild: AP

H offentlich hat die EU aus dem Blutvergießen in der Ukraine eine Lehre gezogen: Man kann nicht planlos, gewappnet allein mit moralischer Selbstgefälligkeit, in die russische Interessensphäre hereinstapfen, ohne Übles auszurichten.

Nun ist die Frage, ob Serbien zur Interessenssphäre des Kremls gehört. Natürlich nicht in dem Ausmaß wie die Ukraine. Der Balkan ist wirtschaftlich eigentlich unbedeutend, nicht nur für Russland. Aber spätestens mit dem Beginn des Baus der Gaspipeline Southstream, die auch durch Serbien führt, und erst recht in der heutigen kaltkriegerischen Stimmung gewinnt Serbien an Bedeutung im geostrategischen Schachspiel Moskaus.

Erstens: Serbien ist wohl das einzige europäische Land, das Mütterchen Russland a priori freundschaftlich gesinnt ist. Letztlich auch deshalb, weil die Nato „die Serben“ erst vor fünfzehn Jahren bombardiert und „der Westen“ „den Serben“ ihr Kosovo „geraubt“ hatte.

Zweitens: Sollte dieses idiotische Muskelspiel mit dem Westen fortgesetzt werden, könnte Wladimir Putin mit einem Standbein in Serbien die EU und die USA sehr wohl ärgern – die noch offene Kosovo-Frage, die Frage der serbischen Entität in Bosnien, die Beziehungen Serbiens mit den Nachbarstaaten und so weiter. Der gesamte Westbalkan mit seiner Durchschnittsarbeitslosigkeit von über 30 Prozent, mit seinen bösen Geistern der Vergangenheit ist eine nette kleine, anfällige Nebenfront, an der Russland und die USA wenig zu verlieren haben, Europa aber wohl.

Drittens: Russland könnte das fragile Serbien jederzeit wirtschaftlich erwürgen. Brüssel sollte in absehbarer Zeit lieber darauf verzichten, Serbien vor die Wahl EU oder Russland zu stellen. Den Krieg in der Ukraine hat man auch nicht kommen sehen. Und: „Der Serbe“ kann recht wenig mit der Ode an die Freude anfangen, die russischen Lieder liebt er aber.

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Auslandskorrespondent Belgrad
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7 Kommentare

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  • "Denn das von US/EU in der Ukraine installierte Regime"

     

    falls es sich noch nicht bis zu Ihnen herumgesprochen hat: der ukrainische Präsident ist demokratisch gewählt, der Ministerpräsident wurde vom ukrainischen Parlament gewählt

     

    " wird nicht dran denken, sein Gas selbst zu zahlen." das wird in der Tat schwierig wenn Russlands Aggression anhält. Bald wird nichts mehr von der Ukraine übrig sein.

  • „Der EU-Beitrittskandidat Serbien nutzt die Sanktionen, um selbst mehr Waren nach Russland zu exportieren. Daraus kann die EU lernen.“

     

    Der EU-Beitrittskandidat Türkei macht das Gleiche, nur da interessiert es keinen. Und was die Lernfähigkeit der EU betrifft, die dürfte faktisch nicht vorhanden sein.

    Denn aus dem letzten ukrainischen Gasdiebstahl hat sie absolut nichts gelernt. Die Gaspipeline Southstream hat sich erledigt, Bulgarien hat sich dem US/EU-Druck gebeugt und das Projekt ausgesetzt. Auch deutschen Verbrauchern wird diese Entscheidung teuer zu stehen kommen.

    Denn das von US/EU in der Ukraine installierte Regime wird nicht dran denken, sein Gas selbst zu zahlen.

  • "Russland könnte das fragile Serbien jederzeit wirtschaftlich erwürgen. "

     

    Die EU könnte das sicherlich auch - die Wirtschaftskraft der EU ist um ein Vielfaches höher als von Russland.

     

    " „Der Serbe“ kann recht wenig mit der Ode an die Freude anfangen, die russischen Lieder liebt er aber."

     

    Dann wünsche ich Serbien viel Spaß in der Eurasischen Wirtschaftsunion! Die EU kann auf Serbien verzichten - es wäre auf Jahre Nettoempfänger.

     

    Nicht die EU wollte auf Teufel kommt Raus die Ost-Erweiterung - die Initiative ging stets von den Beitrittskandidaten aus. Wer nicht will, bleibt halt draußen. Und wer nicht mehr will, kann die EU auch jederzeit verlassen. Sind halt andere Sitten als in Moskau - da werden "Abtrünnige" wie die Ukraine erst wirtschaftlich, dann militärisch "erwürgt"

    • @Grübelnder0309:

      Natürlich kann die EU Serbien ebenfalls erwürgen. Nur toter als tot wird Serbien dadurch auch nicht. Der auschlaggebende Punkt ist dass Serbien verarmt ist und sich in einer Patt-Situation befindet. Stellen sie sich auf die eine Seite verlieren sie. Dasselbe passiert aber auch wenn sie sich für die Gegenseite entscheiden. Darauf zielt auch der Artikel ab. Man soll eher Perspektiven schaffen als neue Drohkulissen aufzubauen.

       

      Das Volk ist durch die Geschichte & Religion natürlich noch den Russen zugeneigt, wenn man aber arm ist kann man sich diesen Luxus nicht leisten. Deshalb ist es an der EU hier positive Signale zu setzen.

       

      Und was den Konflikt als ganzes angeht war er sehr absehbar. Obwohl ich keineswegs pro Russisch bin, kann ich deren Standpunkt gut verstehen. Man will die NATO nicht im eigenen Einflussgebiet haben. Also destabilisiert man die Region lieber als sie dem Gegner zu überlassen. Genau dieser Standpunkt wird auch von den USA seit Jahrzehnten gelebt, ansonsten wären sie nicht überall in Zentralamerika eingefallen.

       

      Also bevor man mit dem Finger auf die Russen zeigt sollte man überlegen wieviel der Westen zur Eskalation beigetragen hat.

  • "Den Krieg in der Ukraine hat man auch nicht kommen sehen."

     

    Doch. Wer nicht die vom Maidanfieber geschüttelt wurde, hat den Krieg schon kommen sehen. Ich hätte nur nicht gedacht, dass es so heftig wird.