Zweifelhafte Maßnahmen für den Kinderschutz: Kita-Pflicht auf wackligen Beinen

Rechtsgutachten stellt verpflichtenden Kita-Besuch für Kinder aus Familien mit Erziehungshilfe infrage. Behörde schweigt dazu, das Gutachten sei zurückgezogen

Immer noch eine Baustelle: Der verpflichtende Kita-Besuch für Kinder aus Familien mit Erziehungshilfe Bild: dpa

HAMBURG taz | Als eine Konsequenz aus dem Tod der kleinen Yagmur kündigte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) im Juni eine Art Kita-Pflicht für die Kinder der vom Jugendamt betreuten Familien an. Ein Gutachten, das der taz in Auszügen vorliegt, zeigt nun, dass dieses Vorhaben juristisch umstritten ist.

Es handelt sich um eine „Stellungnahme“, die das Jugendamt Eimsbüttel Ende Mai beim Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) in Heidelberg anforderte. Gefragt war, inwiefern Fachkräfte der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) von einer übergeordneten Behörde verpflichtet werden können, den Besuch einer Kita unabhängig von einer Einzelfallprüfung und Alter der Kinder durchzusetzen.

Das Fazit ist deutlich: Grundsätzlich sei so ein Konzept mit dem geltenden Recht unvereinbar. Es gibt nur eine Schulpflicht, keine Kitapflicht.

Die Sozialbehörde äußert sich nicht zu dem Gutachten. „Es bezieht sich auf eine Regelung, die es so gar nicht gibt“, erklärt ihr Sprecher. Außerdem sei es zurückgezogen. Doch ein Abgleich der Papiere, die zum Thema „verbindlicher Kita-Besuch“ in der Stadt kursieren, macht deutlich, dass das Gutachten Fragen aufwirft, die noch aktuell sind.

Bereits heute möglich und unstrittig ist, dass ein Richter im Fall einer Kindeswohlgefährdung den Besuch einer Kita zur Auflage machen kann. Dies zu beantragen war bisher eine Entscheidung im Einzelfall. Künftig gibt es dafür eine „Operationalisierungstabelle“ mit festgelegten Schritten.

ASD-Mitarbeiter sollen mit den Eltern einen Kita-Besuch vereinbaren und, wenn die nicht wollen, das Gericht anrufen. Und: Sie sollen vereinbaren, welche Informationen die Kita dem ASD meldet, etwa „Fernbleiben des Kindes von Krippe/Kita ohne ärztliches Attest“. Die Heidelberger kritisierten den Automatismus, gibt es doch auch Fälle, in denen ein Kita-Besuch „kontraindiziert“, sprich nicht gut fürs Kind, ist.

Dieser Einwand wurde nach taz-Information von der Behörde aufgenommen. Im Einzelfall darf der ASD auch in Fällen von Kindeswohlgefährdung vom Kita-Besuch absehen, muss dies aber begründen und regelmäßig überprüfen.

Doch eher strittig dürften die Pläne für jene Kinder sein, in deren Familien keine Kindeswohlgefährdung vorliegt, die aber Hilfe zur Erziehung erhalten. Auch diese Eltern sollen mit dem ASD eine „Vereinbarung“ für den Kita-Besuch treffen. Diese kann enthalten, dass ein Fernbleiben ohne ärztliches Attest gemeldet wird. So zu lesen in der „Operationalierungstabelle“, einem behördlichen Papier zum „verbesserten Kinderschutz“, das im September an die Kita-Verbände ging.

Für Familien mit Erziehungshilfen heißt es dort: Handeln sie nicht entsprechend, „ruft das Jugendamt das Familiengericht an“. So geht es nach Lesart des Gutachtens nicht. Denn wenn keine Kindeswohlgefährdung vorliegt, erübrige sich eine Anrufung des Gerichts. Die Vorgabe, das Gericht anzurufen, weil Eltern ihr Kind nicht in eine Kita geben, laufe „deutlich an einer rechtmäßigen Aufgabenerfüllung des Jugendamtes vorbei“.

Die Sozialbehörde hält in diesem Plan aber offenbar fest. So heißt es in besagtem September-Papier, das Gericht werde angerufen, wenn ein Kita-Besuch ausbleibt, obwohl dies „für das Wohl des Kindes erforderlich scheint“. Dies solle aber die Ausnahme sein, in der Regel werde man die Eltern vom Sinn der Kita überzeugen können.

Die Vereinbarungen für Familien ohne Kindeswohlgefährdung, die Erziehungshilfe bekommen, sollen weniger detailliert sein und sich auf „ein oder zwei Punkte“ beschränken.

Doch schon solche Vereinbarungen für den Kita-Besuch als Regelinstrument sehen die Autoren kritisch. Ein Datenaustausch zwischen Kita und Jugendamt sei – abgesehen von Situationen vermuteter Kindeswohlgefährdung – nur zulässig, wenn Eltern dem freiwillig zustimmen.

Ansonsten müsse sich das Amt die Informationen von den Eltern selber holen. Ein Einsatz der Kita als „verlängerter Arm des Jugendamtes“ könne in vielen Fällen die notwendige Vertrauensbeziehung zwischen Eltern, Kind und Erzieher untergraben.

Der frühere ASD-Mitarbeiter Peter Meyer hat das Thema zur Debatte im Jugendhilfeausschuss angemeldet. „Mir gefällt nicht, dass die Jugendämter mit dem ’Damoklesschwert‘ des Gerichts drohen sollen.“ Er halte es für viel sinnvoller, Eltern vom Kita-Besuch zu überzeugen.

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