„Gone Girl“ von David Fincher: Ein Luxushotel als Gefängnis
In „Gone Girl“ gerät das Scheitern einer Ehe zum Krimi mit Medienkampagne. Die erzählerische Energie reicht für 20 deutsche Fernsehfilme.
Für Krisendurchleber geht es Nick (Ben Affleck) und Amy Dunne (Rosamunde Pike) in Missouri noch ziemlich gut. Im Bestseller „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ von Gillian Flynn, der David Finchers neuem Film zugrunde liegt, zieht das Paar zwar auch von New York in die amerikanische Provinz, weil Nicks Mutter gepflegt werden muss. Die Entlassung aus dem kriselnden Printmediengeschäft kassiert Finchers Interpretation aber: Die Bar, die Nick mit seiner Schwester betreibt, wirkt eher wie ein Work-Life-Balance-Hobby gestresster Metropolenbewohner, der Wohlstand von Amys Familie scheint belastbar.
Ausdruck dieser Verhältnisse ist das Haus der beiden auf einem der akkurat gemähten Grundstücke der Stadt Carthage (was angesichts der kriegerischen Vorgänge ein symptomatischer Schauplatz ist). Ein Haus wie aus dem Katalog, riesenhaft, mit allem Schnickschnack, eingerichtet in einer Weise, die viele geschmackvoll nennen würden – ein Traumhaus, wie man einmal gesagt hätte. Genau besehen ist das Haus aber ein ziemlicher Horror, weil in ihm alles da ist, aber nichts lebt, alles hübsch ist, aber nichts spezifisch.
Zwischen diesen beiden Wahrnehmungen pendelt „Gone Girl“ die ganze Zeit, zwischen den Projektionen von Träumen, den Superlativen von Individualität – Amy trägt den Beinamen „Amazing“ – und der tristen Gewöhnlichkeit, dem Dasein unter allen anderen. Das Gefühl dazu heißt Liebe, die in ihrem tiefsten Moment die größte Einzigartigkeitsempfindung zu vermitteln vermag, und das Gegenteil ist die Eheroutine bis zur Entzweiung, in der das Gefühl des Besonderen sich wieder in Allgemeinheit auflöst.
„Gone Girl“ beschreibt eine solche Entzweiung als hochgerüstete Schlacht. Die Suche nach Gründen für das Scheitern wird als polizeiliche Investigation durchgeführt. Der Film setzt ein am fünften Hochzeitstag, an dem Amy verschwunden ist und Nick ihres Mords verdächtig wird. Es ist nicht leicht, über „Gone Girl“ zu schreiben, weil die Ermittlung, die Recherche, das Spiel, das Fincher daraus macht, am besten unvorbereitet genossen wird. Es ist ein großes Vergnügen.
„Gone Girl“. Regie: David Fincher. Mit Ben Affleck, Rosamund Pike u. a. USA 2014, 145 Min., ab 2. Oktober im Kino
Fincher schlägt Haken, wie er immer Haken geschlagen hat. In „Zodiac“ (2007) lief das Puzzlespiel um den rätselhaftesten der amerikanischen Serienmörder trotz akribischer Suche schön ins Leere. In „The Game“ (1997) entpuppte sich der Kontrollverlust, in den Michael Douglas als gelangweilter Millionär gejagt wurde, schließlich als Spiel. Vor dieser einfachen Auflösung des Rätselratens („War alles nur Spaß!“) ist der neue Film gefeit, mit dessen erzählerischer Energie man zwanzig deutsche Fernsehfilme zum Leuchten bringen könnte: Über zweieinhalb Stunden immer noch einen move zu machen, der nicht unplausibel wirkt, sondern vielmehr ins Zentrum der Geschichte zielt, das lässt einen staunen.
Fernsehen als Kampfplatz
Aufregend ist an „Gone Girl“ neben dem vordergründigen Thrill das mediale Setting: Die Schlacht zwischen Nick und Amy wird über das hochgepitchte amerikanische Fernsehen geführt. Moral im Sekundentakt geben die Talkshows von fönfrisierten Hosts aus, die an jedem öffentlichen Ort gesehen werden können. Nach Amys Verschwinden belagern die Übertragungswagen Nicks Haus und erzwingen ein Verhalten, bei dem es nicht darum geht, wie es war, sondern wie man es darstellt. Als Fixer wird ein Staranwalt aus New York engagiert, den Tyler Perry äußerst smart gibt: „Elvis ist nach Missouri gekommen.“
Fincher erzählt mit Blick auf die Medien weder eine Opfergeschichte, noch interessieren ihn Warhols 15 Minuten Ruhm. „Gone Girl“ ist entschieden post privacy, die medialen Truppen sind bewegliche Heere, deren man sich bedienen muss. „I’m going where the story goes“, beschreibt eine Moderatorin das opportunistische Stand-by, aus dem heraus sie sich über alles empören kann. Dazu passt die kühle Präzision von Finchers Inszenierung, die schicke Oberflächlichkeit der Bilder.
Noch intensiver wirkt aber die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse, durch die hindurch man „Gone Girl“ am Ende aller Täuschungen als eine ziemlich abgefahrene Version weiblicher Emanzipation verstehen kann. Valerie Solanas hatte in ihrem „S.C.U.M. Manifesto“ Suburbia als den Ort beschrieben, an dem die nicht erwerbstätige Frau von sozialen Beziehungen entkoppelt und damit ganz zum Besitz des arbeitenden Mannes wird. Das Haus von Nick und Amy in „Gone Girl“ ist so ein Ort: ein Luxushotel als Gefängnis. Daraus zu entkommen, bedarf einiger Fantasie, aus der Finchers Erzählen seine große Anziehungskraft bezieht.
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