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Kampf um Kobani„Erinnern Sie sich an Srebrenica?“

Die IS-Milizen haben Kobanis Regierungsviertel erobert. Derweil ruft der UN-Beauftragte für Syrien die Türkei auf, ihre Grenze zu öffnen.

Mittlerweile sind angeblich 40 Prozent Kobanis in den Händen der IS-Miliz. Bild: ap

MURSITPINAR/GENF rtr | Die extremistischen IS-Milizen haben nach Angaben der syrischen Opposition die Verwaltungszentralen der Kurden in der umkämpften Stadt Kobani eingenommen. Die radikalislamischen Kämpfer hätten fast das gesamte Regierungsviertel mit den Gebäuden der kurdischen Regionalregierung in der syrisch-türkischen Grenzstadt unter ihre Kontrolle gebracht, erklärte die in der Regel gut informierte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitag.

Der UN-Beauftragte für Syrien rief die Türkei auf, die Grenze zu öffnen, damit kurdische Freiwillige den kurdischen YPG-Milizen zu Hilfe kommen könnten und ein mögliches Massaker vermieden werde. Der Islamische Staat (IS) habe mindestens 40 Prozent des Stadtgebiets von Kobani unter seine Kontrolle gebracht, teilte die Beobachtungsstelle übereinstimmend mit US-Angaben mit. Die IS-Kämpfer seien tiefer in die Stadt vorgedrungen. Der stellvertretende Kommandeur der kurdischen Kämpfer, Öcalan Iso, widersprach dieser Darstellung allerdings.

Mehr als ein Fünftel der Stadt sei nicht in der Hand der IS-Milizen, sagte er in einem Telefonat. Die Tatsache, dass die IS-Kämpfer das Stadtzentrum mit Mörsergranaten beschießen würden, belege, dass sie nicht bis dorthin vorgedrungen seien.

An der Grenze zwischen Syrien und der Türkei waren Schusswechsel aus der in Sichtweite liegenden Stadt zu hören. Die US-Luftwaffe flog Donnerstag und Freitag sieben Angriffe auf Ziele in und um Kobani, teilten die US-Streitkräfte mit. Dabei seien ein großer und vier kleinere IS-Verbände getroffen sowie vier Gebäude zerstört worden. Der UN-Beauftragte, Staffan di Mistura, appellierte in Genf angesichts der zugespitzten Lage an die Türkei, die Verteidigung der Stadt durch die Öffnung der Grenze für kurdische Kämpfer zuzulassen. Er warnte vor einem Massaker an den verbliebenen Einwohnern und den kurdischen Kämpfern im Fall einer Niederlage.

„Erinnern Sie sich an Srebrenica? Wir schon“, sagte Mistura. Bei dem Massaker in der muslimischen Enklave wurden während des Krieges im früheren Jugoslawien rund 8000 Menschen getötet. Auch dem IS werden Massenmorde in den von ihm eroberten Gebieten im Irak und in Syrien vorgeworfen.

Türkische Regierung bleibt passiv

Die Türkei hat die Grenze in der Nachbarschaft der seit drei Wochen umkämpften Stadt geschlossen. Die türkische Regierung hat klargestellt, dass sie in keinem Fall allein mit Bodentruppen gegen den IS vorgehen will. Zudem knüpft die Türkei ein Vorgehen gegen die Extremisten an den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al Assad und die Einrichtung einer Flugverbotszone.

Die USA machten klar, dass sich aus ihrer Sicht der Kampf gegen den IS nicht in Kobani entscheidet. Kobani sei eine Tragödie, aber nicht entscheidend für die Strategie gegen die sunnitischen Extremisten, erklärte US-Außenminister John Kerry. Hauptziel sei es, Raum für die irakische Regierung zu schaffen und sie in die Lage zu versetzen, den IS zurückzudrängen.

Die passive Haltung der türkischen Regierung angesichts der Entwicklung in Kobani führte erneut zu gewalttätigen Protesten im Land, bei denen auch zwei Polizisten getötet wurden. Die Kundgebungen erfassten ein Drittel der türkischen Provinzen. Dabei wurden nach Angaben des türkischen Innenministers Efkan Ala 31 Menschen bislang getötet. Die beiden Polizisten seien von einem Unbekannten erschossen worden, berichtete die Nachrichtenagentur Dogan. Vier der Angreifer seien getötet, und zwei festgenommen worden.

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10 Kommentare

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  • Wie die meisten Städte im Norden Syriens untersteht auch Kobane faktisch keiner Militärhoheit. Es liegt nicht in der Türkei, warum also sollte die Türkei dort eingreifen? Das Regime des syrischen Präsidenten Al-Assad kann schon lange im Norden nichts mehr ausrichten. Westlich orientierte Rebellengruppen sind so zerstritten, dass sie ebenfalls keinen Einfluss mehr haben, sodass also nur die IS-Milizen als halbwegs schlagkräftige Einheit dort das Sagen haben. Und zwar nicht erst seit heute, wie jeder weiss. Der IS kontrolliert weite Teile in Syrien und im Irak, sogar eine Millionenstadt wie Mossul. Die in Nordsyrien lebenden Kurden haben keine eigene militärische Organisation, auch wenn die PKK und andere Gruppen die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Die einzigen, die die syrische Tragödie beenden könnten, sind nicht die USA, sondern nur die internationale Staatengemeinschaft. Erst wenn die Menschen in aller Welt ihre eigenen Regierungen dazu zwingen, sich mit allen anderen Staaten zusammenzusetzen, um eine Lösung herbeizuführen, erst dann hat die Menschheit genügend Kraft, dem Treiben sogar mit friedlichen Mitteln ein Ende zu setzen. Aber dazu ist die Zeit wohl noch nicht reif und wildgewordene Mörderbanden wie der IS können weiter ihr Unwesen treiben. Kein amerikanischer Militärschlag wird für Frieden sorgen, sondern nur gewollte internationale Kooperation!

    • D
      D.J.
      @bouleazero:

      Bin sogar mal weitgehend Ihrer Meinung, wobei aber das:

      "mit friedlichen Mitteln"

      leider gut gemeinter Unsinn sein dürfte.

      V:a. brauchen wir die Zusammenarbeit mit Russland und Iran in der Sache. Alle sonstigen Konflikte sind nämlich tatsächlich mit friedlichen Miteln zu lösen.

      • @D.J.:

        Stimme dir zu... aber? `Der Tampen brennt´ ... Eine internationale Kooperation zur Sicherung Kobanes braucht Zeit... und würde zu spät geschehen!

        Die Türkei könnte irgend humanitär/ militärischen Kompromiss eingehen um ein sinnloses Massaker in Kobane zu verhindern...

        Aber? Das traurige ist wohl, dass sich Sjrebenica wiederholen wird...

        Zum kotzen ist das !

        • @vergessene Liebe:

          Kurzfristig gibt es nur eine Lösung: Aufgabe von Kobane, es macht keinen Sinn, eine einzelne Stadt verteidigen zu wollen, wenn hunderte Städte kampflos unter IS-Kontrolle gegangen sind. D.h., dass die Türkei alle Flüchtlinge aus Kobane ins Land lassen muss. Das hat sie bisher getan und das muss sie auch zulassen, wenn die verbliebenen paar tausend Menschen vor dem IS flüchten. Tut sie es nicht, gehen die Toten auf ihr Konto

          • D
            D.J.
            @bouleazero:

            KURZFRISTIG, mag sein, dass das rein militärisch sinnvoll wäre. Aber ich erinnere daran, dass z.b. Srebrenica immer noch zur bosnisch-serbischen Republik gehört...

  • ....Wenn es Ministerpräsident Davutoglu ernst ist mit dem

    Versprechen, sein Land wolle alles tun, damit Kobane nicht fällt,

    kann die Türkei aber auch ohne Kriegseintritt etwas tun, um den

    kurdischen Verteidigern zu helfen: Sie kann kurdischen Kämpfern aus

    den anderen Kurdenenklaven in Rojava oder aus den Kandil-Bergen in

    Südkurdistan gestatten über türkisches Territorium nach Kobane

    vorzudringen und sich den dortigen Kämpfern anzuschließen. Sie müsste

    dafür vor ihr Hoheitsgebiet querenden kurdischen Bewaffneten nur

    genauso die Augen verschließen wie zuvor vor den Islamisten, die in

    die Türkei kamen, um sich auf Kosten des türkischen Steuerzahlers in

    Krankenhäusern pflegen zu lassen, bevor sie wieder in den Dschihad

    zogen. ...

     

    Die Türkei muss den Kurden erlauben, sich zu verteidigen

     

    Doch die Türkei will den Kurden nicht einmal einen Bruchteil jener

    Hilfe zukommen lassen, die sie zumindest bis vor einiger Zeit

    radikalen Islamisten bot, solange diese nur gegen den syrischen

    Präsidenten Assad kämpften. Das Mantra türkischer Außenpolitik

    bleibt, dass in Syrien alles besser werde, sobald Assad gestürzt sei.

    Ob die Beispiele Libyens nach Gaddafi oder des Iraks nach Saddam

    Hussein das Vorbild dieser Denkschule sind, ist nicht bekannt. Fest

    steht, dass die Türkei den syrischen Kurden ein Bekenntnis zur

    sogenannten moderaten Opposition in Syrien abringen will. Doch auch

    in den Planspielen dieser arabischen Opposition für ein Syrien nach

    Assad spielen die Kurden keine Rolle. Sie sollen wieder majorisiert

    werden. Kein Wunder, dass die Kurden sich zurückhalten....

    Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung - 10.10.2014, von Michael

    Martens, Istanbul

    • @Julianne:

      Jeder, der Terrorismus unterstüzt macht sich mitschuldig. Ich bin wirklich der allerletzte Freund von Erdogan, aber gerade er, ist derjenige, der dem PKK Pack alles erdenkliche gegeben hat, dass sie sich jetzt alles mögliche erlauben. Sie werden das nicht einsehen wollen, aber sie leben hinter dem Mond. Extremismus und extreme Gewalt braucht die Menschheit nicht !!!

    • @Julianne:

      Es ist unglaublich in welchen Maß von Unverfrorenheit Sie hier seit Tagen Öl ins Feuer giessen und eine Kriegspropaganda an den Tag legen. Begriffe wie Völkermord und Massaker werden ständig ins Feld geführt. Dieses Kaff von Ain el Arab ist völlig unbedeutend. Der Schweizer Journalist bei Anne Will kam gerade aus der Stadt und hat gesagt, dass sich nur wenige Hundert Zivilisten in der Stadt befinden. Es grenzt an Beleidigung der Intelligenz der Menschen, die diese Zeitung lesen, zu behaupten, dass die Türkei, die Millionen von Flüchtlingen aufgenommen hat, nicht auch die paar Hundert Menschen aufnehmen würde. Ain el Arab ist nichts anderes als eine mediale Atombombe der separatistischen Terrororganisation PKK und ihrer Unterstützer, wie sie es sind. Sie sollten dringend lernen, dass es keine guten und schlechten Terroristen gibt. Staaten hingegen sollten endlich lernen, dass man Terroristen nicht kontrollieren kann, auch wenn man sie selber erschaffen hat. Gucken Sie sich mal auf türkischen Medien an, mit welcher Gewalt diese menschenverachtende Mörderbande von PKK in der Türkei agiert. Die Bilder sprechen für sich, da muss man auch kein türkisch können.

      • @einTürk:

        "Jeder, der Terrorismus unterstüzt macht sich mitschuldig." Volltreffer !

        Wie viel Raum hat die türk. Regierung dem IS geboten, damit diese sich so entfalten kann ?

        Ich möchte Erdogan erleben, wenn eine türkische Stadt vor der Aufgabe stehen würde.

        Gehen Sie doch konkret auf die Fakten von @juliane ein, anstatt Ihren türk.-nationalistischen Senf hier zu verbreiten !

        • @lions:

          Der Unterschied zwischen uns beiden liegt darin, dass ich oft genug geschrieben habe, was ich von Erdogan und seiner ISIS Unterstützung halte. Noch einmal nur für Sie: Erdogan soll hingehen wo der Pfeffer wächst und nicht wiederkommen. Der IS ist für mich eine Terrorbande. Warum distanzieren Sie sich nicht von den Kindermördern der PKK und verbreiten Ihren kurdischen ultranationalistischen Senf ! Ich bin Türke und stehe zu meiner Nation, zu der ich selbstverständlich auch die Millionen türkischen Kurden zähle. Ich grenze niemanden aus und habe nur den Willen alle türkischen Staatsbürger unter einem friedlichen Hut (Flagge) zusammen zu bringen. Ganz im Gegensatz zu Leuten wie Ihnen, die ständig einen Spaltpilz in unsere Gesellschaft tragen und Hass und Gewalt säen.