Kontakt in Ebola-Regionen: Kein Fußball, keine Arbeit

Kaum ein Reporter traut sich in die von Ebola betroffenen Länder. Aber man kann den Menschen ja auch auf Facebook begegnen.

Weiße Anzüge, gelbe Handschuhe: Helfer vom Roten Kreuz in Liberias Hauptstadt Monrovia. Bild: dpa

Von Ebola geträumt. Von gelben Handschuhen, weißen Anzügen – und umgekehrt, gelben Anzügen und weißen Handschuhen. Von fiebernden Männern, die halb wahnsinnig vor Hunger über die Märkte streifen. Von dem kleinen Jungen mit verdrehten Augen, der von seinem Vater in einer Schubkarre bis zum Krankenhaus gefahren – und abgewiesen wurde. Von den hilflosen Augen des Vaters in Nahaufnahme.

Es gibt kaum noch Reporter in diesen Ländern. Kaum auserzählte Geschichten. Nur Bilder, die Monströses andeuten. Radiobeiträge, in denen die Journalisten die Kranken aus sicherer Entfernung befragen. Interviews mit wenigen weißen Helfern, die mühsam beherrscht in die Kamera sprechen.

Doch auf Facebook ist die ganze Welt theoretisch nur einen Klick entfernt. Ich kann mit einem IS-Kämpfer chatten oder mit einem kurdischen Kämpfer in Kobani. Sie könnten auch miteinander chatten.

Auch die Menschen, die, eingesperrt in Sierra Leone, Liberia, Guinea, sterben, wenn die Welt Ebola nicht aufhalten kann, sie sind da auf Facebook, zu Tausenden. Mädchen in Blumenkleidern, Männer mit gehäkelten Wollmützen. Sie heißen Princess, Oumar, Cidy.

Die Landesgrenzen sind seit Monaten geschlossen. Und hat jemand Symptome von Ebola, darf er diese Länder auch mit einem Flugzeug nicht verlassen.

Die Gleichberechtigung von Homosexuellen in Deutschland scheint fast am Ziel. Aber manchmal kommt die Gesellschaft nicht ganz mit. Wie ein Landwirt seine Familie herausfordert, weil er Männer liebt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 25./26. Oktober 2014. Außerdem: Am 17. September 2013 simulierten die deutschen Behörden den Super-GAU eines Atomkraftwerks. Interne Dokumente zeigen: Die geheime Übung ging gründlich schief. Und: Der Psychoanalytiker Vamik Volkan denkt über Osama bin Laden nach. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ich verschicke Freundschaftsanfragen. Nach Monrovia, nach Conakry, Freetown. In Kleinstädte, Dörfer.

Prince, Soziologe aus Sierra Leone, 28, vor zwei Jahren nach Monrovia gezogen, antwortet. Er hat das Ebola-Einsatzteam begleitet und gefilmt. „Verzögerte Reaktion bei Neuinfektionen, falsches Personal, falsche Diagnosen, minimale Information der Öffentlichkeit, Stau bei der Unterbringung, keine Vorsorgemaßnahmen.“

Den ganzen Tag zuhause

Er schreibt über sein Handy. Er schreibt schnell. Komprimiert seine Antworten aufs Nötigste. „Und, am wichtigsten: Das Personal wird nicht bezahlt. Deshalb arbeiten sie nicht richtig.“ Wie sich sein Leben verändert hat? „Angst vor Kontakt, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, höhere Lebenskosten.“ Ich muss los. Wir verabreden uns für ein andermal.

Später. Freetown, Sierra Leone. Alie. Auf seinem Profilbild posiert er im Unterhemd vor einer Strohhütte. Er ist Polizist, sagt er. Kann er mir etwas über den Alltag in Freetown erzählen?

„Ich rate dir, ins Internet zu gehen, okay?“ „Wie bitte?“

„Gehe ins Ebola-Internet. Dort findest du alles über Ebola. Bitte, mein Bruder.“ „Das mache ich schon. Ich habe noch Fragen.“

„Die Länder, die stark betroffen sind, werden von Schwarzen dominiert. Also sind sie die einzigen Betroffenen, okay?“

Was er damit sagen will, frage ich. Als Antwort schickt er mir denselben Satz noch zehnmal.

Guinea. Ein Schüler antwortet mir: Salif, 18 Jahre alt. Er lebt mit seiner Familie in Conakry, der Hauptstadt. Er will mal Profifußballer werden, kann aber nicht trainieren – wegen Ebola. Seit Juli ist er den ganzen Tag zu Hause.

„Ich mache nichts. Ich schaue mir die Leute an, die vorübergehen.“ „Und deine Eltern?“ „Sie arbeiten. Sie sagen mir, dass ich auf mich aufpassen soll.“

Cidy schreibt. Ein Krankenpfleger aus Freetown, Sierra Leone. Auf seinem Profilbild sieht man ihn mit einer jungen Frau, die ihn umarmt und auf die Wange küsst. Sie ist Italienerin und war bis vor wenigen Tagen mit ihm auf einer Kinderstation in einem Krankenhaus in Freetown. Eine Italienerin mit langen, dunklen Locken. Hat sie das Land wegen Ebola verlassen?

„Nein“, schreibt er, „nicht wegen Ebola. Wegen ihrer Ausbildung, die sie jetzt beginnt. Wir haben uns verlobt, bevor sie abgereist ist, und ich vermisse sie, besonders in diesen Tagen.“

Einige seiner Kollegen haben sich mit Ebola angesteckt – zum Glück Kollegen aus einer anderen Abteilung. Aber drei sind jetzt tot, drei in einer Isolierstation. Er hat Angst, schreibt er.

„Keine Chance. Arbeitslos“

Hat er je darüber nachgedacht, Sierra Leone zu verlassen? Mit seiner Verlobten nach Italien zu gehen? Er schreibt: „Hahaha.“ Und dann: „Wenn ich könnte, würde ich an jeden sicheren Ort gehen, bis diese Ebola-Sache vorbei ist. Und ich wäre glücklich, mit ihr zusammen zu sein.“ „Aber es geht nicht?“

Es kommt keine Antwort mehr. Dann, nach einigen Stunden, schreibt Cidy: „Sorry, ich war beten. Mit Gott geht alles.“

Nach einigen Tagen schreibt Prince, der Soziologe aus Monrovia: „Seit einer Woche ist die Lage besser. Alle waschen sich mit Seife und Chlor, es gibt Maschinen, die die Temperatur von Menschen messen, neue Behandlungszentren werden aufgebaut, und die Krankenwagen kommen rechtzeitig.“ Er schickt ein Icon: Daumen hoch! Er schreibt, er hat sechs Videos gedreht, für seine zukünftige Forschung. Einen Titel hat er schon: „Der Einfluss von Ebola auf Subsahara-Afrika und der Aufbau von Handlungsoptionen.“ Er schreibt: „Ich war auf der Njala-Universität in Sierra Leone. 2012 kam ich ins hektische Monrovia, um nach Arbeit zu suchen. Ich wurde privater Tutor. Als die Sache mit Ebola anfing, dachte ich zuerst, es wären nur Gerüchte. Aber dann habe ich es gesehen. Um ehrlich zu sein, ich fürchte mich vor der Epidemie. Sie kann Menschen töten – unabhängig von ihrem Status. Ich gehe kaum noch aus.“

„Und deine Arbeit?“ „Keine Chance. Arbeitslos. Die meisten Organisationen haben ihre Arbeiter für 90 Tage eingestellt.“ „Hast du Ersparnisse?“ „Nein. Ich werde von einem Freund unterstützt. Meine ganze Familie ist noch in Sierra Leone.“ Er schickt ein Foto: Er, in weißem Hemd, in einem virtuellen Rahmen aus Seerosen. Und eines, wieder im weißen Hemd, auf einem Markt.

„Normalerweise sitze ich an der Straße, mit drei Freunden. Ich lebe im Zentrum“, schreibt er. „Ich habe Angst, weiter rauszugehen, wegen der Ausgangssperre.“ Er nennt seine Straße. „Wow, direkt am Meer!“ Später schreibt er: „Nenn mich Prince Sackie Junior.“ „Warum?“ „Den Namen gibt es oft.“ „Sag mal. Dein Freund, der dich unterstützt? Arbeitet er?“ „Wir leben vom Gras, das Gott uns gibt. Manchmal gehen wir hungrig ins Bett. Aber ich bewerbe mich weiterhin beim Roten Kreuz.“

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