Neuer Film von Roy Andersson: Über den apokalyptischen Stillstand
Kritiker sind begeistert von „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“. Der komplexe Film beweist Roy Anderssons Genie.
Zur Unterhaltungsbranche zu gehören, ist der ewige Fluch des Autorenfilmers. Heute mehr denn je ist das Kino zu einem Entertainment-Synonym geworden. In Zeiten, in denen es per se wenig zu lachen gibt, steigen die Erwartungen, vom und im Kino unterhalten zu werden (zumindest deutsche Verleihprogramme spiegeln das so vor), was – warum auch immer – oft gleichbedeutend zu sein scheint mit: endlich lachen zu können.
Der Running Gag in Roy Anderssons von der internationalen Filmkritik viel bejubeltem neuem Kunstfilm „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“, der nach „Songs from the Second Floor“ (2000) und „Das jüngste Gewitter“ (2007) den Abschluss seiner Trilogie über das menschliche Wesen bildet und bei dem Filmfestival in Venedig den Goldenen Löwen gewann, nimmt darauf indirekt Bezug.
Sam und Jonathan, die beiden Vertreter, die das lose Gefüge einzelner Episoden zusammen halten, indem sie quer durch die Figurenlandschaft des Films stets dieselben drei Scherzartikel (Vampirzähne, Lachsack, Gummimaske von „Gevatter Einzahn“) aus stets demselben Uraltkoffer holen und diese mit stets denselben Vorführeffekten und Anpreisungsformeln feilbieten, sind bei ihrer Verkaufs-Mission maximal erfolglos.
Ihr Dasein fristen sie in einem gefängnisähnlichen Heim (jeder in seiner Zelle), ihr Besitz ist spärlich, ein altes Grammophon, die alten Lieder. Ihr Motto „Wir möchten Ihnen helfen, Spaß zu haben“ können sie vor lauter Jenseitigkeit am Ende nur noch verzweifelt weinend vorbringen. Künstlerpech und doch menschlich, allzu menschlich.
„Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“. Regie: Roy Andersson. Mit Nils Westblom, Holger Andersson. Schweden/Norwegen/Frankreich/Deutschland 2014, 94 Min.
Achselzuckende Schweden ohne Miene
Wie unlustig der Running Gag eigentlich ist, zeigt sich daran, dass nicht nur die potenziellen Käufer (innerlich achselzuckende Schweden, die naturgemäß keine Miene verziehen), sondern auch wir, das Meta-Zielpublikum, keinen Gedanken daran verschwenden, dass es hier irgendwas zu lachen gäbe.
Und dann stellt sich das ein, was diesen Film besonders macht, nämlich die (beinahe in jeder der insgesamt 39 Szenen gebotene) Möglichkeit, die präzise arrangierten Tableau-Leben dieser skurrilen, zu Zombiepuppen weißgeschminkten und im abgekratzten Schimmer manierierter Künstlichkeit erstarrten Leinwandhelden zu verlassen und über das Kino und unsere entsprechende Erwartungshaltung nachzudenken. Wie die Taube auf dem Zweig.
So sieht sie aus, hören wir Roy Andersson dann gelassen-sarkastisch flüstern, unsere Medienwelt zwischen Avatar-Stars und Sitcom, unsere Wahlmöglichkeit zwischen Maschinen-Action-Wahn und Lachkonserven-Irrsinn. Keine Action, kein Lachen weit und breit.
Anderssons Kino bestätigt sich nicht nur stilistisch selbst – und dieser Wiedererkennungs- und Wiedergängereffekt hat, das sei kritisch angemerkt, etwas durchaus Lähmendes an sich (ein leichter „Marktlücken“-Ästhetik-Verdacht stellt sich ein) –, es nimmt – und das ist groß und von Weltformat – die Spuren Kafkas und Becketts auf, um durch maximale Stilisierung zu einem maximalen Realismus zu gelangen.
Warten auf den Konsum
Würde unser Vertreter-Duo, das – dem Selbstvermarktungszwang ausgeliefert – nicht auf Godot, sondern auf den Konsum und das Lachen der anderen wartet, eines Morgens als Käfer erwachen wie Gregor Samsa – niemanden würde das sonderlich wundern („Du läufst so komisch, wie ein Zombie“, sagt Sam (Samuel B./Samsa) über Jonathan, und der antwortet beleidigt: „Ist gar nicht wahr.“). Und so wundern wir uns auch nicht über das spielerisch funktionierende Oszillieren zwischen Realem und Phantastischem, das den gesamten Film durchzieht.
Schon das Eröffnungstableau ist grauenerregend – zwei Menschen stehen da wie eingefroren, die Frau im Hintergrund mit ihren Tüten zum täglichen Einkaufen bereit, der Mann auf ein groteskes Vitrinen-Horrorwesen starrend. Die Welt als Naturkammer, der Mensch als Zombie.
Die drei darauf folgenden Eingangsszenen, in denen „der Tod die Menschen besucht“, skizzieren gleichermaßen das stilistische und thematische Panorama eines sehr zum Universalen taugenden typisch schwedischen Durchschnittsbürgeralltags: Wie die drei alt gewordenen Geschwister ihrer sterbenden Mutter nach mühsamen Überredungsversuchen letztlich die Handtasche entreißen wollen, ist graueste sozialdemokratische Tristesse gepaart mit der Unvermeidbarkeit menschlicher Animositäten und der kalten Brutalität des Homo oeconomicus.
So visuell einschneidend Anderssons artifiziell inszenierte Natürlichkeit auch ist, die massiv trostlosen Wiederholungsschleifen, in die hier alles eingespannt scheint (am stärksten spürbar in der schon seine früheren Filme prägenden charakteristischen Leitmotivmusik), führen zu einem gewissen Ermüdungseffekt. Der Satz „Es freut mich zu hören, dass es dir gut geht“ zieht sich bauchrednerisch durch das häufig nur noch miteinander telefonierende, das heißt auf Distanz kommunizierende, Figurenspektrum.
Eine Putzfrau rezitiert ihn, während sie einsam einen Fußboden schrubbt. Eine Laborantin spricht ihn ganz nüchtern, während am anderen Rand des Bildes ein Affe in einen irren Elektroschockfolterapparat eingespannt ist (Motto: „Homo sapiens“). Das ist dann recht dick aufgetragen, wird aber gerade bei denen, die den Film als Filmkomödie sehen wollen, vielleicht gut ankommen.
Ein braun-grau-ausgebleichter Anachronismus
Konzeptionell überzeugend wird der Film, dessen Titel angeblich an ein Detail in Pieter Brueghels „Jäger im Schnee“ angelehnt ist (wie oft war dieses Bild eigentlich schon Anlass für filmreflexive Melancholie?), an einem anderen Punkt. Nicht da, wo ein braun-grau-ausgebleichter Anachronismus den Menschen als vermeintliches Ausschusswesen fast vorführt, sondern beim Versuch, den apokalyptischen Stillstand dieses unseres heutigen Alltags mit konkreten historischen Szenen verschmelzen zu lassen.
Die Geschichte bricht da mit einer Plötzlichkeit ins Dasein, dass man gar nicht anders kann als zu staunen. Ein Mann, der sein Leben lang offenbar immer denselben Platz in seiner Lieblingskneipe einnimmt, wird zurückversetzt in jene Zeit, in der die Schankwirtin den hungernden Matrosen des Zweiten Weltkriegs Schnaps spendiert. Spontaner Chorgesang vom Feinsten.
Auch in einer zweiten Szene ist es ein Trinkgelage – der Skandinavier und der Alkohol? –, in das die geballte Faust der Historie einbricht. Karl XII., jener Monarch, der seinen absoluten Machtanspruch durch Selbstkrönung, flegelhafte Brutalität und überfallartige Akte tyrannischer Grausamkeit unterstrich, reitet da plötzlich auf seinem Pferd durch die Eingangstür, nachdem seine Gardisten die Bar bereits von Frauen und Alkohol gereinigt haben (seine diesbezügliche Abstinenz war ebenfalls legendär).
Karl XII., so das Sujet, trinkt noch einen Schluck Mineralwasser (gereicht von einem schönen, filigranen Jüngling des frühen 21. Jahrhunderts) und bricht auf in die Schlacht um Poltawa, die, wie die Geschichtsbücher wissen, das Ende der Vormachtstellung Schwedens im Norden Europas einläutete.
Unterdrückte und keine lächerlichen Menschen
Schließlich ist es das grandiose Schlussbild, das den Film – wieder in der geniestreichartigen Herstellung einer fiktiven historischen Szene – in eine andere Dimension versetzt auch in Bezug auf den Kinokontext unserer Zeit). Britische Kolonialisten treiben hier Sklaven in einen kupfernen Zylinder, der, sich langsam drehend, seine Opfer zermalmt.
In den Flammen, die von den Soldaten als Spektakel wahrgenommen werden, dem Publikum jedoch den Schauer von KZ-Hochofen-Reminiszenzen nicht ersparen, geht die Menschheit unter. Anderssons Film handelt vom unterdrückten Menschen, nicht vom lächerlichen.
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