Rolle schiitischer Milizen im Irak: Dreimal stärker als die Armee

Nicht nur IS-Fanatiker begehen grausame Verbrechen im Irak. Auch mit Iran verbündete Milizionäre ermorden und vertreiben sunnitische Zivilisten.

Hadi al-Ameri (r.) ist politischer und militärischer Chef der Badr-Miliz. Bild: dpa

ISTANBUL taz | Als die Extremisten des Islamischen Staats (IS) im Juni 2014 weite Teile des Nord- und Zentralirak überrannten, traf der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki eine Entscheidung, die für eine mögliche Aussöhnung mit den Sunniten, aber auch für den iranischen und amerikanischen Einfluss im Irak weitreichende Konsequenzen hat.

Maliki ernannte Hadi al-Ameri zum Chef der nordöstlich von Bagdad gelegenen Provinz Dijala. Ameri, damals Transportminister, tauschte seinen Anzug gegen die Uniform der Badr-Miliz aus, deren politischer und militärischer Chef er ist.

Wo immer Armee-Einheiten im Verbund mit schiitischen Milizionären in die Schlacht gegen den IS ziehen, steht Ameri an vorderster Front. Dabei zeigt er sich gerne mit einem anderem Mann: mit Kassem Soleimani, Kommandant der Kuds-Einheiten, dem für Operationen im Ausland zuständigen Arm der iranischen Revolutionswächter. Iran hat Waffen an die Regierung in Bagdad und an die Kurden geliefert. Die Rolle von Soleimani haben die Iraker wie die Iraner bisher eher heruntergespielt.

Das hat sich mit der Großoffensive gegen die Stadt Tikrit geändert. Soleimani sei dort, um die Operation zu überwachen und die irakischen Truppen zu beraten, berichtete am Montag die iranische Nachrichtenagentur Fars, die den Kuds-Einheiten nahesteht. Außerdem hat Iran für die Offensive Waffen geliefert und fliegt Drohneneinsätze.

Herkunftsort Saddam Husseins

Ameri hat die Schlacht um Tikrit als „Rache für Camp Speicher“ bezeichnet. Der Name der Militärbasis südlich von Tikrit steht für eines der brutalsten Massaker des IS. Die Extremisten hatten 1.700 Rekruten verschleppt, die Sunniten ließen sie laufen, während Hunderte von Schiiten Massenhinrichtungen zum Opfer fielen. Viele Schiiten machen für das Kriegsverbrechen den Verrat durch sunnitische Stämme verantwortlich.

Darüber hinaus sehen Schiiten in Tikrit auch den Ort der Hauptverantwortlichen für die Niederschlagung des schiitischen Aufstands im Jahr 1991, weil viele Offiziere und der ehemalige Despot Saddam Hussein aus der Gegend stammten. Ministerpräsident Haider al-Abadi forderte jetzt von den Soldaten und Milizionären, die Zivilbevölkerung zu schonen. Es ist fraglich, ob seine Worte Gehör findet.

Die Verbrechen des IS sind an Grausamkeit kaum zu überbieten. Aber auch die schiitischen Milizionäre haben schwere Menschenrechtsverstöße begangen. Berichte über die Ermordung von Zivilisten gibt es aus der Umgebung von Kirkuk und Samarra, aus Bagdad sowie den Provinzen Dijala und Anbar. Fast immer rechtfertigen Milizionäre die Morde damit, dass es sich bei den Toten um IS-Kämpfer handle.

Die Truppe von Ameri ist nicht die Einzige, die für Verbrechen an sunnitischen Zivilisten verantwortlich gemacht wird. Im Irak gibt es heute Dutzende von schiitischen Milizen. Zu den schlagkräftigsten gehörten dabei Asaib Ahl al-Hakk und die Kataib-Hisbollah. Zusammen übertreffen sie an Mannstärke die Überreste der irakischen Armee um mindestens das Dreifache.

Angst vor dem Tag nach dem Sieg

Abadi hat angekündigt, dass die Milizen nach dem Sieg über den IS wieder demobilisiert werden sollen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Schon ist sein Versprechen, eine Nationalgarde – diese soll vor allem sunnitische IS-Gegner rekrutieren – aufzubauen, am Widerstand der Milizen gescheitert. Ihre politischen Vertreter spielen auf Zeit und verweigern dem entsprechenden Gesetz ihre Zustimmung.

Die Fäden der Milizen laufen bei Soleimani zusammen, und sein Mann im Irak scheint Ameri zu sein. Die Badr-Miliz wurde während des Iran-Irak-Kriegs (1980–1988) in Iran gegründet. Viele machen sie für Morde und Folter an ehemaligen Gefolgsleuten von Saddam Hussein verantwortlich. Viele Sunniten in Tikrit hoffen auf eine Niederlage des IS, und einige Hundert beteiligen sich am Kampf. Doch die Mehrheit fürchtet den Tag danach.

Die USA wirken angesichts dessen nahezu hilflos. Sie drängen auf Versöhnung und investieren mit ihren Verbündeten in den Aufbau der irakischen Armee. Darüber hinaus fliegen sie im Norden Luftangriffe. Von Ausnahmen abgesehen, setzen sie die Luftwaffe aber nicht in Kämpfen ein, in denen die Milizen eine Rolle spielen.

Aus irakischer Sicht begeben sie sich damit ins Abseits. Dabei geht die schiitische Propaganda so weit, den USA die direkte Unterstützung des IS zu unterstellen. Manche Experten befürchten, dass die USA den Irak an den Iran verlieren könnten. Wie um dem vorzubeugen, warnten die USA am Donnerstag vor konfessionellen Spannungen bei der Tikrit-Offensive.

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