Dokumentarfilm über Helge Schneider: Weg von hier, fort nach dort

Die Filmemacherin Andrea Roggon lässt es zu, dass Helge Schneider aus ihrem Film „Mülheim Texas“ seinen ganz eigenen macht.

Freiheit gibt es nicht einfach so, „Freiheit muss man sich nehmen“, sagt Helge Schneider an einer Stelle des Films. Bild: dpa

„Mülheim Texas“. Stellt dieser Titel nun einen Sehnsuchtsvektor dar oder eine Gegenüberstellung von Unvereinbarem? Vielleicht ja beides ein bisschen, was ganz gut zu der uneindeutigen Kunstfigur Helge Schneider passen würde, um die sich dieser Film dreht (der zwar auch das private Setting des echten Helge Schneider aufsucht, dabei aber kaum darüber hinwegtäuscht, dass stets die Kunstfigur für die Kamera agiert).

„Katzeklo“, „Möhrchen“ und ähnliche Gassenhauer mal beiseitegelassen, birgt der Kern des Schaffens dieses traurigen Clowns immer auch eine Sehnsucht nach der großen Welt, eine Sehnsucht, die unerfüllt bleibt, da sie sich an der eigenen linkischen Unbeholfenheit und der Provinzialität der Herkunft reibt.

Da ist die große Liebe zum Jazz, dessen in Deutschland nachgespielter Variante etwas fehlt: der Resonanzraum der konkreten sozialen Erfahrungen der Afroamerikaner. Und da ist die Leidenschaft für die künstlerische Außenseiterboheme (beides verquickt in „Jazzclub“, einem der schönsten deutschen Filme überhaupt), den Western und die mondänen französischen Kriminalfilme.

Alte BRD, graue Tristesse, Ruhrpott

„Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort“. Regie: Andrea Roggon. Dokumentarfilm, Deutschland 2015, 88 Min.

Anders aber als etwa die Karl-May-Filme verleibt sich Schneider diese Sehnsüchte nicht einfach nur ein, sondern zielt stets auf den Bruch und das Unvereinbare, das bei solchen Kulturtransfers entsteht: Ähnlich wie die Filme Christoph Schlingensiefs, in denen Schneider erste Kinoauftritte hatte, handeln auch seine Hörspiele, Spielfilme, Bücher und Konzerte von einem Deutschland, das immer an einem haften bleibt. Genauer: Von der alten BRD, deren grauer Tristesse, vom Ruhrpott – und den kunterbunten Fluchtpunkten, die sich die BRD der 60er und 70er wenigstens auf der Jugendzimmertapete imaginiert hat.

Andrea Roggons lässiger, gelegentlich vielleicht etwas zu sehr in den Seilen hängender Porträtfilm „Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort“ bringt das sehr schön, sehr beiläufig auf den Punkt. Er beginnt schon mit von goldenem Sonnenlicht durchwirkten Aufnahmen: Schneider auf dem Motorrad auf irgendeiner Landstraße durch eine wüste Steppe – er fährt, zottelt, feixt, nimmt uns mit auf eine Reise. Doch wo der Film dann eigentlich hinwill, bleibt unklar, was ganz gut so ist, denn Schneiders improvisierte Pointen – immer wieder gibt es auch lange Konzertausschnitte – beziehen ihren Reiz ja gern auch mal aus dem kunstvollen Versanden.

Es gibt klassische Talking-Head-Situationen, vermeintliche Impressionen des privaten Schneider, man sieht Schneider bei Proben, beim Drehbuchschreiben, bei Aufnahmen für Alexander Kluges Fernsehformat „dctp“, bei Dreharbeiten und Presseauftritten. Und immer wieder gibt es ausgedehnte, herrlich alberne Impro-Miniaturen am Strand, auf dem See, in der Badewanne unter der gleißenden Sonne, sowie: Autofahrten, Bootsausflüge, Rollerfahrten, Spaziergänge, Wanderschaften – durch Mülheim, durch eine Westernlandschaft, durch deutsche Landschaften. Stets ist dieser Schneider unterwegs: weg von hier, fort nach dort, doch immer ganz bei sich.

Dinge geschehen lassen

Viele Scherben und Fragmente also, die Roggon ohne Thesenüberbau aufliest, wobei sie es sehr selbstverständlich zulässt, dass Schneider aus ihrem Film seinen ganz eigenen macht.

Was für ein ödes Künstlerporträt hätte das werden können: Schlaglichter, größte Erfolge, Weggefährten, solches Zeug. Nichts davon in diesem unbekümmert freien Film, der sich einfach nur umschaut, Dinge geschehen lässt. Freiheit gibt es nicht einfach so, „Freiheit muss man sich nehmen“, sagt Schneider an einer Stelle barsch, springt jäh auf und flüchtet aus dem Bild. Und sagt dann einfach: „Tschüss.“ Und bleibt doch stets in Mülheim.

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