Wir brauchen Schwarz-Grün

DISKUSSION Nur Union und Grüne zusammen werden die Energiewende bewerkstelligen

lehrt seit 2009 an der Universität Mannheim Wirtschaftsethik. Seine letzten Veröffentlichungen: „Klimaethik“ bei Suhrkamp, 2011. Und davor: „Perfektionierung des Menschen“ bei De Gruyter, Berlin.

VON BERNWARD GESANG

Unsere Wirtschaft kann die nächsten dreißig Jahre nicht überleben, wenn wir, wie gewohnt, weitermachen. Wie können Wohlstand, Sicherheit und Frieden bestehen, angesichts ökologischer Grenzen und immer mehr Menschen auf der Welt, die gegen diese anstürmen? Wie können wir den nötigen Umbau schaffen, wenn wir gleichzeitig auf den demografischen Wandel reagieren müssen? Und, ach ja, der Klimawandel als Thema fehlt auch noch.

Es gibt sie also noch, Fragen, an denen sich alles entscheidet. Fragen, die zutiefst politisch und kontrovers und dringlich sind. Allerdings gehören diese Fragen offenbar nicht in den Bundestagswahlkampf. Da fragt man beim Duell der Kandidaten lieber, ob die Wähler nach vier Jahren Merkel oder Steinbrück mehr Geld in der Tasche haben werden.

Wenn dann beide Kandidaten sagen, „natürlich ja“, kann man über die Pkw-Maut streiten. Der eigentliche Skandal wird gar nicht thematisiert: „Die echten Fragen des Allgemeinwohls kommen gar nicht erst auf den Tisch“, frei nach Rudolf Bahro. Zeigt das, dass unsere parlamentarische Demokratie ein System selbstgefälliger Wohlstandsinteressen geworden ist? Auch darüber sollten wir streiten, denn solange die Anreize für Politiker „Wiederwahl in vier Jahren“ und für Bürger „Einkommenssteigerung in vier Jahren“ heißen, kann das nur schiefgehen. Wie reagieren wir darauf, müssen wir unsere Institutionen umbauen und wenn wie? Aber solche Fragen gehören ja nicht in den Wahlkampf?

Nur an einer Ecke winkt die globale Herausforderung, vor der wir wort- und tatenlos stehen, zum wohlig warmen Wohnzimmer der Wohlstandsbürger herein: Stichwort „Energiewende“. Wenn die klappt, könnte global ein neues Vorbild geschaffen werden, das zudem ein Exportschlager für Entwicklungsländer wäre. Die Meinung der großen Parteien dazu lautet fast einhellig: „EEG-Novelle“ (also Förderung runter), „Anpassung der Geschwindigkeit an die Netzkapazitäten“ (also Tempo runter) und niedrige Preise über alles.

Tacheles ist anders. Tacheles wäre es zu sagen, dass die Preissteigerungen beim Strom nur zu wenigen Prozent auf erneuerbare Energien zurückgehen. Tacheles wäre es, dem fehlenden Wettbewerb auf dem Strommarkt die Hauptverantwortung zuzuschreiben, weshalb Strom trotz fallender Börsenpreise immer teurer wird. Tacheles wäre es zu sagen, welche Konzerne daran interessiert sind, alles beim Alten zu belassen, bis so viele fossile Kraftwerke neu gebaut wurden, dass die Energiewende erledigt ist. Wenn schon die großen Parteien ausfallen und de facto noch oder schon wieder in der großen Koalition leben, ist Hoffnung bei den Kleinen?

Während die Frage bezogen auf die FDP nur Prusten hervorrufen kann, kann man sich auch über die Grünen nur wundern. Auch sie verschlafen die Frage der Stunde: Jetzt steht die Energiewende an. Das ist das zentrale Projekt der Grünen. Entweder geht es nach der Wahl mit der FDP weiter, welche diese Wende nie gewollt hat und sie torpediert, wo immer möglich, oder die Energiewende geht an die Kohle-SPD. Das sollte die „Grüne Seele“ in höchsten Aufruhr versetzen: Die Chance ist jetzt da, und zwar nur jetzt!

Müsste das nicht auch die folgende simple Überlegung auf den Plan rufen: Die einzige Koalition, in der die Grünen jetzt die Energiewende managen könnten, wäre eine schwarz-grüne Koalition! Absurd?

Eine halbwegs grüne Energiewende mit einer unentschlossenen CDU/CSU aushandeln, die selbst zwischen Fortschritt (Röttgen) und Rückschritt (Altmeier) schwankt? Und dafür auf allen anderen Politiksektoren Kröten schlucken? Schlecht für die Partei, nicht gewollt von der Partei, ja, aber notwendig für das Land, vielleicht sogar für die Welt.