■ Der DGB hat sich während der gesamten Spardebatte als Ordnungsfaktor erwiesen – gedankt wird es ihm aber nicht: Die Agonie der Gewerkschaften
Die Diskussion um das sogenannte Sparpaket mußte als politische Kraftaktion inszeniert werden, um die Sozialstaatswende unmißverständlich zu markieren. Zugleich mußte die Schwäche des Protests demonstriert, mußten die Kritiker auf ihre Plätze verwiesen werden. Das ist mit Hilfe der SPD und Gewerkschaften auch gelungen. Gut haben sie ihre Rollen gespielt. Von nun an kann die Senkung der Realeinkommen ruhiger betrieben werden.
Sie wird so bald kein Ende nehmen. Nach allen kundigen Prognosen wird sich die Arbeitslosigkeit in diesem Jahrzehnt nicht mehr eindämmen lassen. Im Gegenteil: Die zu früh alt werdenden und doch zu lang lebenden Alten werden Kosten verursachen. Die heute schon hohe Arbeitsproduktivität läßt sich noch steigern. Das bedeutet geringere Chancen für die Jungen auf dem Arbeitsmarkt, dafür Parkkosten in den Universitäten und auf ABM-Plätzen.
Schließlich wird die Bundesregierung von den Marschbefehlen aus Maastricht und von der Bundesbank täglich daran erinnert, wo es langzugehen hat: zur Währungsunion. Unmöglich, sie zu verschieben. Denn das wäre schon ihr halbes Scheitern, und dies können sich die meisten Regierungen der EU nur als Katastrophe ausmalen: Wilde Protektionismus- und Abwertungskämpfe, aufflammenden Chauvinismus fürchten für diesen Fall fast alle demokratischen Parteien und Regierungen in Europa.
Schon deshalb müssen sich auch die Sozialdemokraten dem Konsens eiserner Sozialhaushaltsdisziplin beugen – und damit der Umverteilung gegen die sozial Schwachen. Säße die SPD mit in der Regierung, sähe das Sparkaket kaum anders aus. Für die christliberale Regierung hat dies einen schönen Nebeneffekt. Wird man demnächst die Rentenformel kündigen müssen, die Berechnung der Altersversorgung also von der Entwicklung der Lohneinkommen abkoppeln, wird man dafür das Einvernehmen mit der Sozialdemokratie nicht mehr brauchen.
Wenn die Parlamentsentscheidung zwar das längst Erwartete bringt, so wird sie doch erstmals in ganzem Licht zeigen, wie gut der Sozialstaat funktioniert – als Staat. Die Deutschen machen nun die für sie neue Erfahrung, daß sich der Sozialstaat vorzüglich als Umverteilungsmaschine eignet, um der Investitionsbereitschaft der Unternehmen auf die Beine zu helfen.
Daß die Architektur des Sozialstaats seit jeher darauf angelegt war, soziale Selektion auszuüben und Ansprüche zu disziplinieren, schien längst vergessen. Unklar war das offenbar nur den Sozialpolitikern; deswegen stehen sie alle miteinander jetzt düpiert da. Der von den Arbeitgeberfunktionären so lange als fett und faul verhöhnte Sozialstaat zeigt nun, welche Muskeln er hat: Auf ihn kann die Wirtschaft sich verlassen.
Den beklemmendsten Anblick boten bislang die Gewerkschaften, die offenbaren mußten, wie hoffnungslos sie aus dem politischen Spiel manövriert wurden. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich zum Vehikel des Massenprotests zu machen. Dabei war von vornherein klar, daß sie weder dem öffentlichen Mißmut irgendeine Wirkung verschaffen noch für sich Sympathie herausschlagen würden. Der wirtschaftspolitische Chefideologe der FAZ, Klaus Barbier, notierte vergangenen Montag denn auch befriedigt, die Parolen hätten „nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Gewerkschaften auch im sich heilig gebenden Zorn über die Einschränkung der Lohnfortzahlung nicht in die Nähe des politischen Streiks geraten wollen“. Anders formuliert: Die Gewerkschaften haben sich einmal mehr als Ordnungsfaktor bewährt.
Dafür ernten sie keinen Dank. Zwei Tage darauf zeigte sich Barbier erfreut, daß die „alte Ordnungsmacht“ den Boden unter den Füßen verliere, weil die Tarifordnung unaufhaltsam verfalle: „In zehn Jahren wird das Freisein vom Flächentarif zur Unternehmenskultur der Erfolgreichen gehören.“
Selten hat man es ihnen so deutlich ins Gesicht gesagt: Als Ordnungsfaktor seid ihr weiterhin brauchbar; als Säule der korporatistischen Sozialordnung in Deutschland, die mehr als vier Jahrzehnte lang auf der Basis der Tarifautonomie ruhte, seid ihr längst veraltet und gehört ausgemustert – zusammen mit der gesamten Organisation des sozialen Konflikts; es hat ohnehin keinen Sinn, daß ihr euch dagegen wehrt und euch krampfhaft an das überholte Muster einer Gleichschultrigkeit von Kapital und Arbeit klammert; zum einen durchlöchern eure eigenen Betriebsräte durch Sondervereinbarungen überall das Tarifsystem, andererseits verschwinden immer mehr Unternehmen einfach vom Tarifkampfplatz, indem sie ihre Verbände verlassen.
So ist die Lage. Die Gewerkschaften aber sind außerstande, sich dagegen zu wehren. Und weil nach guter deutscher Gewohnheit von allen Seiten auf jenen getreten wird, der eh schon verliert, ernten sie überall nur Spott und Hohn. Die im Leeren rotierenden Tarifkampfmaschinen scheinen das freilich zu rechtfertigen. Sie wollen partout nicht begreifen, daß sie sich politisieren müssen, wenn sie überleben wollen. Statt dessen streiten sie matt über ein neues DGB-Grundsatzprogramm und über Leerformeln wie die, ob die sogenannte soziale Marktwirtschaft die erstbeste oder zweitbeste oder drittbeste Lösung des längst wackeligen Erfolgsmodells Deutschland ist.
Die kommenden Jahrzehnte werden für Deutschland wie für alle europäischen Gesellschaften eine Zeit heftiger Umverteilungskämpfe sein. Aber sie werden, und darin triumphiert der ökonomische Liberalismus zu früh, immer weniger über geordnete Konflikte am Markt ausgetragen werden. Der Markt ist, im Sog der Globalisierung, zu borniert und zu schwach, um eine friedliche Umverteilung zu garantieren. Es wird wieder politischer hergehen müssen, und man wird wieder lauter nach dem Staat rufen – den viele schon am Absterben glaubten.
Fatal ist das Unverständnis der deutschen Gewerkschaften deshalb, weil sie mit ihrer politischen Apathie ihre Lage nur verschlimmern. Die Konflikte werden, wenn sie weiterhin so zahnlos ausgetragen werden, nur um so härter, ja gewalttätiger werden. Claus Koch
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