: Der lange Weg zur Autonomie
Bei ihrem ersten Kongreß fordern die indianischen Völker Mexikos Autonomie und Selbstbestimmung. Auch Vertreter der Zapatisten haben sich zu dem Treffen angesagt ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid
Nie wieder ein Mexiko ohne uns!“ steht über der riesigen Nationalflagge, die auf dem Vorhang am Saalende befestigt ist. Unter diesem Motto tagen in der mexikanischen Hauptstadt seit Dienstag rund 500 indianische Delegierte aus allen Teilen des Landes über Wege zu „Autonomie und Selbstbestimmung der indianischen Völker“. VertreterInnen von rund 25 ethnischen Gruppen Mexikos sind zum ersten Nationalen Indio-Kongreß (CNI) gekommen, der unter anderem von der Zapatistischen Front zur nationalen Befreiung (FZLN) – eine Art ziviler Arm der Zapatistenguerilla EZLN – organisiert wurde.
Diesmal ist eine präzise Stoßrichtung vorgegeben: Neben dem Protest gegen die zunehmende Militarisierung indianisch besiedelter Gebiete und dem Aufbau einer landesweiten Indigena-Koordination geht es vor allem um die „legale und verfassungsmäßige Anerkennung“ indigener Autonomien. Wichtigste Grundlage hierzu ist eine von der „Nationalen Pluralen Indigena-Versammlung über Autonomie“ (Anipa) ausgearbeitete Gesetzesinitiative. Darin ist die Schaffung sogenannter „pluriethnischer Regionalautonomien“ – unter Einschluß von Territorialrechten und Verfügungsgewalt über natürliche Ressourcen – vorgesehen. Die Initiative soll, vom CNI „angereichert“, dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Auch das im Rahmen der Chiapasverhandlungen unterschriebene „Minimalabkommen über indigene Rechte“ sah schon diverse Reformen zur Autonomiefrage vor. Es harrt bis heute in den Regierungsschubladen seiner Umsetzung. Zwar kursiert nun eine offizielle Senatsvorlage, in der in schwammigen Formulierungen die Modifikation verschiedener Verfassungsartikel im Sinne eines „harmonischen Zusammenlebens“ vorgeschlagen wird. Dieser Vorstoß aber wird von den CNI- Veranstaltern als „sehr begrenzt“ zurückgewiesen: Auch hier seien indigene Völker auf die Ebene von Dorfgemeinschaften reduziert und nicht als „Kollektivitäten“ anerkannt. Denn bei der Autonomiedebatte, so erläuterte der mixteco Franzisco López, gehe es nicht um individuelle Garantien, sondern um kollektive Rechte.
Für die indianischen Frauen aber hat die Autonomieforderung auch noch eine „persönliche“ Dimension. „Autonomie heißt für uns auch, über uns selbst entscheiden können“, sagt Maria Nuñez, die als Delegierte einer Frauenkommission aus dem Lacandonenwald angereist ist. Die buntgewandete tzeltal-Frau findet, daß die Frauen hier „viel zu wenig das Wort ergreifen“, obwohl sie viel zu fordern hätten: die paritätische Teilhabe an allen Entscheidungsinstanzen in ihren Dörfern und politischen Organisationen; die Modifikation des Agrargesetzes, damit auch Frauen Land besitzen könen, ohne verwitwet zu sein; vor allem aber die Abschaffung der indigenen Sitten und Gebräuche, die „gegen die Würde der Frau“ verstoßen. „Wir wollen nicht mehr diese Großvätertraditionen, nach denen die Frauen nicht aus dem Haus gehen dürfen und den ganzen Tag Tortillas backen sollen.“ So sei der Kongreß schon deshalb wichtig, um „allen zu zeigen, daß wir noch am Leben sind“.
Ein Ehrengast ist allerdings noch nicht eingetroffen. Zwar sind am zweiten Tag alle Kongreßräume von einer Menschenkette, dem sogenannten „Friedensgürtel“, und einer dicken gelben Kordel abgesperrt, die nur akkreditierte BesucherInnen nach minutiösen Tastkontrollen passieren können. Allerorten heißen bunte Transparente die zapatistische Delegation „willkommen“. Selbst die Abendzeitung hatte schon in fetten Lettern verkündet: „Da kommen sie!“, ganz so als ob die mexikanische Hauptstadt von bedrohlichen Aliens heimgesucht würde. Aber ob EZLN-Vertreter trotz der – zwischenzeitlich suspendierten – Haftbefehle freies Geleit in die Hauptstadt bekommen, wird auch vom Ausgang eines Tauziehens um den Fortgang der eingefrorenen Verhandlungen abhängen. Während die EZLN die Teilnahme am Kongreß zur Vorbedingung für eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche gemacht hatte, fordert die parlamentarische Vermittlungskommission Cocopa eine „feste Zusage“: über den nächsten Dialogbeginn und einen „beschleunigten Übergang vom bewaffneten zum politischen Kampf“.
Unterdessen verweisen regierungskritische Juristen auf das verfassungsmäßige Grundrecht auf Bewegungsfreiheit, das „für alle Mexikaner“ gelte. Präsident Zedillo hatte dagegen eine zapatistische Visite letzte Woche noch als „Provokation“ bezeichnet. Als „Privatpersonen“ dürften die Zapatisten einreisen, heißt es aus dem Regierungspalast, nur nicht als „Führer einer Gruppe, die der Regierung den Krieg erklärt hat“. Auch die Wirtschaft ist nicht begeistert von der Aussicht auf klandestinen Besuch aus dem Südosten. „Wenn da unten der Konflikt ausgebrochen ist, soll er da gelöst werden“, forderte der Vorsitzende eines Unternehmerverbandes. Zum Abschluß des CNI haben die Veranstalter für den 12. Oktober, dem 404. Jahrestag der spanischen „Invasion“, in der Innenstadt zu einer Demonstration aufgerufen. Zapatisten hin oder her, die Kolumbus-Statue wurde bereits mit Folien abgedeckt.
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