: Das Somalia-Trauma sitzt noch tief
Gestern trafen die ersten der 5.000 US-Soldaten in Ruanda ein. Über das Mandat der UN-Mission entscheidet heute der Sicherheitsrat. Kanada übernimmt den Oberbefehl ■ Aus Washington Andrea Böhm
Nach wochenlangem Zögern hat US-Präsident Bill Clinton am Mittwoch grünes Licht für die Beteiligung von US-Truppen an einer humanitären Intervention in Zaire gegeben – wenn auch mit Vorbehalten. Nach Angaben aus dem Weißen Haus sollen bis zu 5.000 US-Soldaten an der Seite einer 15.000 Mann starken multinationalen Truppe nach Zentralafrika entsandt werden, um die Versorgung von über einer Million Flüchtlingen an der Grenze zwischen Ruanda und Zaire zu garantieren. Die ersten Soldaten trafen gestern in Ruanda ein. Den Oberbefehl soll Kanada erhalten.
Vertreter der US-Regierung wurden aber nicht müde zu betonen, daß US-Soldaten zu allen Zeiten dem Kommando von US-Offizieren unterstehen würden. Eine entsprechende UN-Resolution – von Kanada bereits formuliert – wurde am Donnerstag im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York beraten. Dort sollen auch die Voraussetzungen für eine endgültige Zustimmung der USA geklärt werden: die „Definition eines klaren Mandats“, die Finanzierung der Operation sowie die Garantie, daß alle Konfliktparteien in der Region die Stationierung der multinationalen Truppen zulassen.
Clinton will einen endgültigen Beschluß über die Entsendung von US-Soldaten nach Zaire heute bekanntgeben. Die US-Öffentlichkeit wird dabei auch erstmals darüber informiert werden, daß 5.000 bis 10.000 US-Soldaten bis voraussichtlich Ende nächsten Jahres als Teil einer Nato-Truppe zur Friedenssicherung in Bosnien bleiben werden.
Ob sich bezüglich des multinationalen Einsatzes in Zaire die gewünschte „Klarheit“ der Mission herstellen läßt, ist allerdings fraglich. Die Flüchtlingskatastrophe, die sich aus einem innerzairischen Konflikt entwickelte, hat längst die gesamte Region politisch ins Wanken gebracht und die zairische Regierung ihrer Kontrolle über zwei Ostprovinzen des Landes beraubt. Der Flughafen des ostzairischen Goma, den US-Bodentruppen nach vorläufigen Überlegungen als zentralen Umschlagplatz für die Verteilung von Hilfsgütern sichern sollen, ist derzeit unter Kontrolle von zairischen Tutsi-Rebellen, die mit Unterstützung der Tutsi-dominierten Regierung in Ruanda gegen das zairische Regime kämpfen.
Fast die Hälfte der mehr als eine Million Hutu-Flüchtlinge sollen mittlerweile in einem Flüchtlingslager nordwestlich von Goma unter der Kontrolle ruandischer Hutu-Milizen sein. Die Rückführung der Flüchtlinge nach Ruanda wird deshalb auf den Widerstand der Milizen treffen. Wie unter diesen Umständen Hilfsgüter an die Zivilisten unter den Flüchtlingen verteilt werden sollen, konnte am Mittwoch weder in Washington noch in Ottawa irgendjemand genau erklären.
Clintons Pressesprecher Mike McCurry machte am Mittwoch nur eines klar: US-Truppen seien weder „ausgerüstet noch willens, sich den Zugang in die Region zu erkämpfen“. Ebensowenig dürfe es Teil der Mission sein, „Zivilisten von Milizionären zu trennen“ oder letztere zu entwaffnen.
Sowohl für die USA als auch für Kanada ist der Einsatz in Zaire eng mit dem Debakel der UN-Mission 1993 in Somalia verknüpft. Der Tod von 18 US-Soldaten bei der Jagd nach dem somalischen „warlord“ Mohammed Aideed in Mogadischu führte zum Abzug der US-Truppen und zur Brandmarkung der UN als unfähige, US- nahe Institution. Wobei verschwiegen wurde, daß der Somalia-Einsatz nach amerikanischem Wunsch konzipiert und unter amerikanischem Oberbefehl geführt wurde.
Erste Warnungen vor einem „zweiten Somalia“ kamen am Mittwoch bereits aus der Ecke der Republikaner im Kongreß. Kanada hingegen, dessen Militär mit seinen Einsätzen bei humanitären und friedenssichernden UN-Missionen bislang der Stolz des Landes war, will mit einer führenden Rolle in Zaire auch einen Somalia- Schock anderer Art in den Hintergrund rücken: Die Videoaufnahmen kanadischer Soldaten, die 1993 in Somalia Zivilisten folterten und zu Tode prügelten. Mit dem Rassismus in der eigenen Armee, den Verschleierungsversuchen hoher Offiziere und der Auflösung eines ganzen Regiments beschäftigt sich die Öffentlichkeit bis heute.
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