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„Wir haben uns jetzt Zeit erkauft“

■ Paul Friedhoff, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, zum Kompromiß

taz: Herr Friedhoff, als Bundestagsabgeordneter einer Partei, die von den Bergleuten besonders ins Visier genommen wurde, müßten Sie froh sein, daß der Marsch der 100.000 Bergarbeiter ausfiel.

Paul Friedhoff: Natürlich. Wäre man nicht zu einer Einigung gekommen, hätte wohl die Gefahr gewalttätiger Auseinandersetzungen bestanden. Das wollte niemand.

Hat die Mittelstandspartei FDP den Protest der Bergleute unterschätzt?

Der Druck auf die FDP ist doch nicht stärker gewesen als der, den die CDU und der Bundeskanzler auszuhalten hatten. Der Protest richtete sich ja erstmals auch massiv gegen den Kanzler, der in der Vergangenheit immer den Eindruck vermittelte, er hielte sein schützendes Händchen über die Kohlesubventionen.

Also hat sich die Regierung am Ende doch dem „Druck der Straße“ gebeugt?

Nein. Es bleibt dabei, daß der Subventionsabbau, der in den letzten Jahren verpaßt wurde, endlich durchgeführt wird, wenn auch zeitlich gestreckt. Diesen Kompromiß hat die FDP mitgetragen. Wir haben uns jetzt Zeit erkauft. Das verschafft den Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland nun die Möglichkeit, den Strukturwandel ernsthaft anzugehen.

Aber Ihre Partei wollte weitaus stärkere Kürzungen.

Am Ziel, im Jahr 2005 auf 3,8 Milliarden Bundeszuschüsse herunterzukommen, hat man festgehalten. Insofern hat sich nichts geändert. Es ist allerdings richtig, daß bis zur Jahrtausendwende zusätzliche Milliarden pro Jahr dazukommen. Der Aufschub muß jetzt aber um so energischer für den Strukturwandel genutzt werden. Jedes Jahr, das wir verpassen, wird am Ende zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Es geht nicht an, daß wir jeden Bergarbeiter mit jährlich 136.000 bei einer Bruttolohnsumme von 60.000 Mark subventionieren – das ist ökonomischer Schwachsinn, unabhängig von der Tatsache, daß die Kohle aus energiepolitischen Gründen keine Rolle mehr spielt. Beispielhaft für den Wandel steht für mich die Stahlindustrie. In Hattingen hieß es früher: „Hattingen wird sterben.“ Auf dem Gelände der Stahlhütte ist heute ein Gewerbegebiet, die Arbeitslosigkeit ist dort, gemessen an den Kohlestandorten, relativ niedrig.

Was halten Sie davon, Kohlesubventionen in zukunftsträchtigere Branchen umzuleiten?

Das kann allenfalls eine Anschubfinanzierung sein. Staatlich alimentierte Wirtschaftszweige wie die Kohlewirtschaft können wir uns aber nicht mehr leisten. Solch einen Weg hat schon die DDR versucht und ist damit bekanntlich gescheitert. Interview: Severin Weiland

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