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Kundenberuhigung um jeden Preis

Nestlé schließt Zahlungen an den Vergifter nicht mehr aus, obwohl noch keine Forderungen des Erpressers bekannt sind. Mayonnaise, Remoulade und Senf von Thomy kommen wieder in die Ladenregale  ■ Von Robin Alexander

Berlin (taz) – Schadensbegrenzung scheint die Maxime in der Nestlé-Zentrale am Zürcher See seit gestern zu sein. Die Polizei werde auf ihrer Suche nach einem Lebensmittelgiftmischer unterstützt. „Dies könnte auch Zahlungen einschließen“, teilte gestern Nestlé-Vorstandsmitglied Klaus Sattler mit. Die Crux: Noch ist nichts gefordert worden.

Der Erpresser soll aus der Reserve gelockt werden, damit er aus der Anonymität heraustritt. Die polizeiliche Überlegung: Bei einer versuchten Geldübergabe wird der Täter gefaßt. „Wenn die Täter geschnappt werden, dann bei der Geldübergabe“, glaubt auch die Kieler Kriminologin Monika Frommel. Für die Täter, die den Lebensmittelkonzern an empfindlicher Stelle treffen wollen, ist deshalb die Übergabe der schwierigste Part.

Nestlé wird seit Monaten erpreßt. Am Montag war per Brief erneut die Vergiftung von Lebensmitteln der Marke „Thomy“ und anderen Produkten der Nestlé- Gruppe angedroht worden. Hunderte von Senftuben, Schokoriegeln und Kaffeepaketen werden deshalb zur Zeit von der Polizei überprüft. Befürchtet wird eine Vergiftung durch Zyanid. Mit Blausäure waren schon im April Thomy-Tuben versetzt worden.

Ein neuartiger Membranschutzverschluß aus Aluminium soll in Zukunft den Verbraucher schützen. Bis Ende des Jahres gibt es allerdings noch einige Waren mit dem alten Schraubverschluß. Absolute Sicherheit gibt es zumindest kurzfristig in einigen Penny-Märkten: „Wir haben nichts mehr von Nestlé oder Thomy im Regal“, berichtet Silvia Dreßen, Verkäuferin in einem Berliner Supermarkt.

Schon Dienstag früh entfernten Polizisten die möglicherweise giftigen Waren. Die Filiale in der Berliner Wilmersdorfer Straße ist einer von über 50 Läden, die im Erpresserbrief aufgelistet waren. Was die Angestellte nicht weiß: Eine Lieferung mit neuen Nestlé-Waren ist schon unterwegs. „Nein, keine einzige Marke wird ausgelistet“, betont Raimund Esser, Sprecher der Rewe-Handelsgruppe.

Nur der Vorstand kann in zentral geführten Filialunternehmen „auslisten“, also Produkte dauerhaft aus dem Sortiment verbannen. Spätestens bis zum Wochenende wird in allen Discountern von Rewe, Penny, MiniMal und HL wieder Thomy-Senf und Nestlé- Kaffee in die Regale geräumt.

Die Kunden scheinen davon nicht beunruhigt, „Von Panik kann man wirklich nicht sprechen“, betonen die Einzelhändler unisono. Der Warenaustauch durch die Polizei hätte die Kunden beruhigt, meinen die Beschäftigten.

Gestern berichtete die ARD von ersten Ergebnissen der Fahndung. Aufgrund einer Tonbandanalye wird der Erpresser nun im westfälischen Raum vermutet. Er habe über Kleinanzeigen in den Ruhrnachrichten und der Berliner Morgenpost mit Nestlé kommuniziert und 25 Millionen Mark in Rohdiamanten gefordert. Polizeisprecher lehnten jede Stellungnahme zu den TV-Berichten ab.

Dessen ungeachtet wird die Nestlé-Aktie in Zürich mit mehr als 1.900 Franken unverändert hoch notiert. Ein Gesamtumsatz von über 70 Milliarden Mark jährlich macht den Konzern immun gegen kurzfristige Absatzeinbrüche, wie sie jetzt bei Thomy erwartet werden. Der weltgrößte Nahrungsmittelhersteller profitiert vor allem vom Handel mit Produkten aus Rohstoffen der Dritten Welt.

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