: Die Kirche rotiert im Teufelskreis
Unternehmensberater und Werbeleute empfehlen den chronisch geldknappen Christen, wie sie ihr Evangelium gewinnbringender vermarkten könnten ■ Aus Heidelberg Annette Jensen
„Sie haben ein tolles, ein einmaliges Produkt!“ ruft Claudia Langer in den dunklen Saal. „Die Bibel war die erste weltbewegende Werbeschrift“, begeistert sich die Werbefrau. Doch dann zieht sie Bilanz, wie die evangelische Kirche heute mit ihrer Kundschaft umgeht: keine Kommunikation mit den Leuten, die nicht von selbst in die Kirche kommen, und dazu ein völlig schwammiges Angebotsprofil.
Während die katholische Konkurrenz ständig mit einer Art Soap Opera in den Medien auftauche – es gibt Krach, da werden Leute ausgeschlossen, und die Hauptfiguren tragen zudem bunte Gewänder –, präsentiert sich die evangelische Kirche mausgrau: Kaum jemand da, der über seinen Sprengel hinaus bekannt ist, befindet Langer. So sei es nicht erstaunlich, daß die Kirche bei einer Umfrage über Kundenzufriedenheit auf dem viertletzten Platz rangiere – hinter Telefondiensten, der Polizei und kommunalen Verwaltungen. Vorneweg ist dagegen die Wirtschaft.
Der dreitägige Kongreß „Unternehmen Kirche“, den das Sonntagsblatt Anfang der Woche in Heidelberg veranstaltete, hat einen dramatischen Hintergrund: Seit ein paar Jahren sinken die an die Einkommensteuer gekoppelten Einnahmen der Kirchen extrem. Die Abschreibungsmöglichkeiten vor allem für Gutverdienende leeren nicht nur Finanzminister Theo Waigels Kassen, sondern auch die der Kirchen.
Viele Leute treten aus, und immer weniger Mitglieder zahlen – weil sie arbeitslos oder im Ruhestand sind. Und die Freistellung des Existenzminimums hat bei den beiden großen Kirchen zu einem Verlust von 500 Millionen Mark geführt. Noch 7,9 Milliarden Mark Steuereinnahmen hatte die evangelische Kirche 1996 zur Verfügung. „Und wir rechnen künftig mit jährlichen Einnahmerückgängen von 10 bis 15 Prozent“, schätzt Pressesprecher Hannes Schoeb von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Hinter vorgehaltener Hand räumen viele Kirchenmänner ein, daß sie das vorläufige Scheitern der Steuerreform mit Erleichterung aufgenommen haben – sie hätte das finanzielle Fundament noch stärker angegriffen. Doch klar ist, daß nicht alle der 580.000 MitarbeiterInnen in der evangelischen Kirche und Diakonie zu halten sein werden.
Pfarrer Rainer Karstens aus Rendsburg ahnt, was das bedeutet: „Vor allem bei der Jugendarbeit wird gespart werden. Denn da ist die Lobby am schwächsten.“ Vor zwei Jahren hat seine 9.000köpfige Gemeinde ein Versammlungshaus verkauft, in diesem Jahr wurden sämtliche Renovierungen und die Anschaffung von Stühlen und Spielzeug ausgesetzt. Doch 1998 wird das nicht mehr reichen. Der Gemeindevorstand streitet zur Zeit, ob man sich von einer Kindertagesstätte trennt, ein weiteres Gemeindehaus verkauft, den Kirchenmusiker oder eine Altenpflegerin verabschiedet.
Doch wo man auch spart – es wird die Spirale nach unten weiterdrehen, fürchtet Rainer Karstens. Entweder sind die Eltern kleiner Kinder verärgert, oder die eh schon Distanzierten, die allenfalls durch ein Orgelkonzert anzulocken sind, treten aus. Nur zu jammern liegt dem norddeutschen Pastor aber nicht. „Die Probleme sind nur lösbar, wenn wir nicht mehr nur als einzelne Kirchengemeinde denken, sondern die Aufgaben aufteilen“, ist er überzeugt. Die einen machen Jugendarbeit, die anderen kümmern sich um die Alten.
Auch der frischgewählte Ratsvorsitzende der EKD, Manfred Kock, fordert die Gemeinden auf, über ihre Ortsschilder hinauszublicken. Beim Sparkurs dürften nicht ausgerechnet die Angebote wegfallen, die man vor 20 Jahren aufgebaut hatte, um distanziertere Mitglieder bei der Stange zu halten.
Unternehmensberater Peter Barrenstein rät dagegen zu mehr Hoffnung und weniger Fixierung auf den Abgrund. „Nicht der Markt der Kirche schrumpft, sondern ihr Marktanteil“, ist er überzeugt. Barrenstein leitet das Münchner Büro von McKinsey und bringt dort zur Zeit acht Gemeinden auf Trab. Als Hauptproblem sieht er, daß die Kirche die Einstellungen und Erwartungen ihrer Mitglieder nicht berücksichtigt und sich oft auf die Kerngemeinde zurückzieht. Die aber macht oft nicht einmal 20 Prozent aus, während über 50 Prozent der Zahlenden auf dem Absprung seien.
Barrenstein setzt auf Mitgliederzuwachs. „In der Krise braucht man eine strategische Neuausrichtung. In Unternehmen wird in solchen Fällen der Vorstand ausgewechselt“, erklärt der Firmenberater und erntet heftigen Applaus. Viele in Heidelberg ärgern sich, daß die Bischöfe gar nicht erst erschienen sind.
Dabei müsse die Kirche sich keineswegs von ihren Inhalten trennen, rät Barrenstein. Im Gegenteil. Die Mitarbeiter müßten wieder selbstbewußt auftreten und vermitteln: „Du darfst glauben und bist trotzdem ein toller Typ.“ Zur Zeit ist die Lage jedoch anders: Nach einer Umfrage in Westfalen empfinden sogar 35 Prozent der Pfarrer ihren Arbeitgeber als peinlich.
Um den Mitarbeitern eine Orientierungshilfe zu geben und ein Auswahlkriterium, an denen sich das Angebot orientieren soll, haben die Münchner Gemeinden drei Kriterien formuliert: Ja zum Glaubensthema, zur Institution Kirche und zu professionellen Methoden. Der Mann von McKinsey ist überzeugt, daß sich damit der Mitgliederschwund stoppen läßt. Und außerdem gibt es ja noch weitere Methoden, um an Geld zu kommen: Fundraising zum Beispiel.
Doch vielen Pfarrern ist der Gedanke, die Mitglieder als Kunden zu sehen, fremd. „Was müssen wir denn tun, um eine junge Frau wie Sie in die Kirche zu locken“, will ein Pastor von der Werbeberaterin Claudia Langer wissen. Andere fordern, die Kunden sollten sich doch bitte schön selbst melden, wenn sie ein anderes Angebot wollten. „Marketing hat mit Dialog zu tun und nicht mit Verkündigung“, kontert Langer. Kommentar Seite 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen