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Chile ist über Pinochet zerstritten

Tumulte im Parlament bei einer Debatte über die Rolle des Generals und Ex-Diktators. Dieser will Senator auf Lebenszeit werden, wenn er seinen Armeeposten niederlegt. Eine Volksbefragung soll das verhindern  ■ Von Ingo Malcher

Buenos Aires (taz) – „Pinochet: Mörder! Pinochet: Mörder!“ tönte es am Mittwoch von der Zuschauertribüne des chilenischen Parlaments in der Hafenstadt Valparaiso. Die Sprechchöre der Jugendorganisation der regierenden Christdemokraten wurden von ebenfalls auf der Tribüne stationierten Pinochet-Anhängern mit „Lang lebe Pinochet!“ gekontert. In der Sondersitzung des chilenischen Parlaments sollte über die Rolle von Ex-Diktator General Augusto Pinochet debattiert werden, der demnächst Senator auf Lebenszeit werden will.

Doch zu der Debatte kam es zunächst einmal nicht. Nur wenige Minuten nach Eröffnung der Sitzung verstand so manch einer kaum mehr sein eigenes Wort. Die jungen Christdemokraten ließen von den Zuschauerrängen ein Transparent mit der Aufschrift „Ciao, Pinochet, Anzeige ist auf dem Weg“ herunterflattern. Parlamentspräsident Gutenberg Marinez unterbrach die Sitzung für eine Stunde und schickte die Polizei auf die Tribüne, um für Ordnung zu sorgen.

Die Folge war allerdings nicht die erhoffte Ruhe, sondern ein Handgemenge zwischen Pinochet- Anhängern und -Gegnern mit der Polizei, bei dem auch einige Abgeordnete der Regierungsparteien mitmischten. Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten mehrere hundert Familienangehörige von Oppositionellen, die während der Pinochet-Diktatur 1973 bis 1990 spurlos verschwanden.

Nach den Tumulten verließen die Pinochet-nahen Parteien das Parlament aus Protest, da, wie sie meinten, eine faire Debatte nicht möglich sei. Daraufhin sperrte die Polizei alle Zugänge zum Parlament weiträumig ab.

Die Szenen im Parlament vom Mittwoch belegen aber nur, wie zerrissen Chile derzeit über das Thema Pinochet ist. Immerhin konnten seine Anhänger bei den vergangenen Parlamentswahlen mit gut 35 Prozent der Stimmen große Erfolge auf ihr Konto gutschreiben, und nicht jeder im Land ist wie die Jungsozialisten der Ansicht, daß Pinochet ein „altes ewiges Scheusal“ ist.

Eigentlich hatte Pinochet vorgehabt, am 26. Januar seinen Posten als Chef der Streitkräfte aufzugeben, um dann einen Tag später als Senator auf Lebenszeit in den Senat einzuziehen. Die von ihm selbst ausgearbeitete Verfassung gibt ihm das Recht dazu. Wegen der Proteste gegen diese Verewigung der Macht verschob Pinochet seinen Rücktritt als Armeechef. Er muß allerdings, so schreibt es ihm die Verfassung vor, bis Anfang März sein Armeeamt abgegeben haben. Daher ist zu erwarten, daß er noch vor März in den Senat überwechselt, um seine Immunität nicht zu verlieren.

Eine breite Koalition, die von der Kommunistischen Partei Chiles bis zur Katholischen Kirche und den Regierungsparteien geht, versucht jetzt zu verhindern, daß Pinochet für immer in den Senat einzieht. Nachdem die Christdemokraten von einer Verfassungsklage gegen Pinochet abgesehen haben, wollen die Regierungsparteien jetzt eine Volksbefragung starten. Die Chilenen sollen darüber befinden, ob die Senatorenposten, die nicht von der Bevölkerung gewählt werden, sondern von Organisationen wie den Streitkräften schlicht besetzt werden, abgeschafft werden sollen. Damit würde man sich auch eines ewigen Senators Pinochet entledigen.

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