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„Zwei arme Bezirke und ein Bonbon dazu“

Serie: Die neuen Bezirke (Folge 1). Wenn aus 23 Bezirken 12 werden, entsteht ein Regierungsbezirk, über den sich vor Ort kaum jemand freut. In Mitte und Tiergarten wird befürchtet, der spät hinzugekommene Partner Wedding bekomme im neuen Gebilde das stärkste Gewicht  ■ Von Sabine am Orde

Am Ufer führt ein frisch gepflasterter Weg zwischen Rasen und jungen Bäumen entlang, vorbei an stählernen Bänken. Auf dem Kanal tuckert ein kleines Frachtschiff vorbei, hinter dem alten Backsteinbau leuchtet im Nordhafen ein Verladekran gelb in der Sonne. Der Fernsehturm ragt hinter dem Bundeswehrkrankenhaus in den Himmel, bei dem Licht sehen selbst die Schering-Werke auf der anderen Seite fast idyllisch aus.

Die kleine Fußgängerbrücke führt von Moabit herüber; der Fußweg auf dem Brachland ist die alte Grenze zwischen Ost und West. Hier hat früher die Mauer gestanden, hier ist der Punkt, an dem Tiergarten, Wedding und Mitte aufeinanderstoßen: eine Bezirksgrenze, die bald nicht mehr existieren soll. Denn nach dem Willen der Senats-Koalition sollen die drei Bezirke zusammengelegt werden. Wenn sich der jüngste Vorschlag durchsetzt, die neuen Einheiten wie in Paris einfach durchzunumerieren, wird der Regierungsbezirk die Nummer eins tragen.

Viel Gemeinsamkeiten gab es zwischen den drei Bezirken bisher allerdings nicht. Zwar war Mitte nach der Wende Partnerbezirk von Wedding, viele BezirksmitarbeiterInnen wechselten von West nach Ost. Doch viel verändert hat das nicht. Heute teilt der Wedding mit Tiergarten lediglich das Arbeitsamt, mit beiden Bezirken den sozialmedizinischen Dienst.

Detlef Gelhar schleudert den Tennisball durch die Luft, seine drei Hunde hetzen hinterher. „Quatsch“ findet er die Pläne der Koalition, „dadurch gehen doch nur noch mehr Arbeitsplätze verloren“. Gelhar arbeitet auf der Eisbahn, einen Steinwurf von der neuen Promenade am Berlin- Spandauer-Schiffahrtskanal entfernt. Nach Feierabend kommt der 36jährige oft hierher. Er hat sein ganzes Leben im Wedding verbracht, „nur zwischen neun und fünfzehn habe ich in Reinickendorf gewohnt“. Ehrt es ihn, daß er bald im Regierungsbezirk lebt? „Das ist mir doch egal“, sagt Gelhar und nimmt einem der Hunde den Ball aus dem Maul. „Hauptsache, der Wedding bleibt, wie er ist. Hier fühl' ich mich wohl, hier kenn' ich alles.“

Das dürfte seinen Bezirksbürgermeister erfreuen. Denn Hans Nisblé (SPD), bis vor wenigen Wochen erklärter Gegner der Bezirksgebietsreform, hat bislang bei jeder Gelegenheit betont, daß „der Wedding Wedding bleiben muß“. Doch seit dem Angebot, mit Mitte und Tiergarten statt mit Prenzlauer Berg zusammenzugehen, ist Nisblé eingeknickt. Nun hofft er, daß der Wedding „ein Stück vom Regierungsbezirk“ abbekommt. „Es kommt ja die gesamte Lobby aus Bonn. Manchen von denen sind bestimmt Grundstückspreise und Mieten in Mitte zu hoch.“

Der grüne Jugendstadtrat Rainer Sauter lehnt Pläne aus dem Roten Rathaus ab. „Zusammengenagelt und ohne Konzept“ seien die neuen Zuschnitte, außerdem „ein Schlag gegen Grüne und PDS“. Deren Einfluß wird besonders in den beiden anderen Bezirken dramatisch abnehmen, im Wedding könnte er den Handlungsspielraum für grüne Politik aber erweitern. Das hofft – bei aller grundsätzlichen Ablehnung – zumindest Martin Beck, der für die Grünen in der Weddinger Bezirksverordnetenversammlung (BVV) sitzt. „Wir haben hier ja seit zwanzig Jahren faktisch eine Große Koalition“, sagt er und hofft, daß durch die Neuordnung die verkrustete politische Szenerie im Wedding aufgebrochen wird. Positiv könnte sie sich außerdem auf den angeknacksten Jugend- und Sozialbereich auswirken. „Hier sind ja etliche Einrichtungen – besonders von freien Trägern – geschlossen worden.“ In Tiergarten und Mitte sieht es noch besser aus.

Ein Schub von außen täte dem alten Arbeiterbezirk, dem die industrielle Grundlage weggebrochen ist, mit Sicherheit gut. Die sozialen Probleme sind groß: Ein Fünftel der WeddingerInnen ist arbeitslos, 11 Prozent leben von der Sozialhilfe. Im Sozialindex liegt der Wedding auf Platz 21, nur zwei Bezirke sind schlechter dran – einer davon ist Tiergarten.

Dort lebt Peter M. (Name geändert), seit über dreißig Jahren schon. Langsam schlendert der 62jährige Rentner über die kleine Fußgängerbrücke. „Nicht gut“ findet der gebürtige Franzose die Idee mit der Bezirksgebietsreform. „Tiergarten und Wedding sind doch schon arm“, da könne doch „ein Ghetto“ entstehen. „Schon jetzt meckern die Deutschen so viel über Ausländer“, sagt er und schiebt die türkisfarbene Baseballkappe zurecht. „Das wird dann vielleicht noch schlimmer.“

Frank Müller, der für die Grünen in der BVV Tiergarten sitzt, befürchtet, daß es mit grüner Ausländer- und Jugendpolitik nach dem Zusammenschluß viel schwieriger wird. „Dann stellt sich doch die Frage, wo das Geld hin soll: Unterstützt man die Kultur in Mitte oder die Integration bei uns?“ Noch sind die Grünen in Tiergarten stärkste Fraktion, stellen den Bürgermeister und die Jugendstadträtin Elisa Rode. „So soll offensichtlich ein Innenstadtbezirk mit grünen Mehrheiten verhindert werden“, sagt sie. Ihrer Einschätzung nach wird der Wedding den künftigen Bezirk dominieren, weil er mit Abstand die meisten EinwohnerInnen und dementsprechend auch die meisten Bezirksverordneten hat. Zudem spekuliert Nisblé, wie Insider munkeln, auf den Bürgermeistersessel des neuen Bezirks. „Ein sozial schwacher Bezirk in der Innenstadt kann zu großen sozialen Spannungen führen“, fürchtet Rode außerdem.

„In Tiergarten wird das nichts verbessern“, meint auch Diethard Rauskolb, CDU-Sozialstadtrat, auch wenn der Regierungsumzug zusätzliche Menschen, Arbeitsplätze und Infrastruktur bringe. Zu den sozialen Schwierigkeiten komme das Ost-West-Problem, das „sicher noch mehr Schwierigkeiten schafft“.

Das glauben die Lindes nicht. Das Ehepaar, lebt in Mitte. „Hier habe ich als Kind schon gespielt“, sagt der 75jährige Ehemann über das Ufergelände. „Wenn damit Geld eingespart werden kann, das ja überall fehlt, dann bin ich sehr für diesen Zusammenschluß“, sagt er. „Daß Mitte dadurch verliert, das glaube ich nicht.“ Seine Frau nickt. „Warum soll sich die Regierung nicht mit den Arbeitern zusammentun“, sagt sie und lacht.

Das sieht ihr Bezirksbürgermeister ganz anders. CDU-Mann Joachim Zeller ist „ganz unzufrieden“ mit der Entscheidung. Mitte habe ja schon „fünf kleine Stadtteile mit ganz unterschiedlichen Problemen“, aber der Wedding sei ja noch einmal etwas ganz anderes. „Bei uns liegen Licht und Schatten ganz nah beieinander“, sagt Zeller und meint „Yuppisierung und sozialer Abstieg, das Wachsen der Metropole und das An-den-Rand- Drängen“. Im Wedding scheint er überhaupt kein Licht zu sehen. „Es bringt ja nichts, zwei Bezirke mit sozialen Problemen zusammenzulegen und Mitte als Bonbon dazuzugeben“, sagt Zeller. Und dann noch zwei große West- und einen kleinen Ost-Bezirk: „Da fühlen sich manche an den Rand gedrägt.“ Da stimmt Sylvia Jastrzembski, für die PDS in der BVV- Mitte zu: „Mitte als kleiner Bezirk wird enorm an Einfluß verlieren.“ Und damit auch die PDS.

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