: Kinderknast in Großbritannien
In der Grafschaft Kent wird heute ein privat geführtes Gefängnis für 12- bis 14jährige eröffnet – ein Tory-Projekt, das von der Labour-Regierung fortgeführt wird ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine betreute Wohngemeinschaft. Die angelegten Gärten sollen „eine Atmosphäre wie auf einem Dorfanger“ vermitteln, sagte ein Architekt. Doch das Medway Secure Training Centre in der südenglischen Grafschaft Kent, das heute eröffnet wird, ist ein Gefängnis für Kinder zwischen 12 und 14 Jahren.
Es gehört Rebound ECD, einem Subunternehmen der privaten Sicherheitsfirma Group 4. Medway hat acht Wohnblocks mit je fünf Insassen, fast alles Jungen. In einem Haus sind Mädchen untergebracht. Die Gefangenen, die offiziell „Auszubildende“ heißen, haben Einzelzimmer mit Dusche und Telefonanschluß. In jedem Block gibt es ein Fernsehzimmer und eine kleine Küche, mittags und abends wird gemeinsam im Speisesaal gegessen. Es gibt ein Spielezimmer, einen Fußballplatz und eine große Turnhalle.
Für die konservativen Zeitungen ist das alles reine Geldverschwendung. Tom Leonard vom Daily Telegraph, dem Hausblatt der Tories, verglich das Gefängnis mit einem „Motel der mittleren Preisklasse mit farblich aufeinander angestimmten Vorhängen und Bettdecken“. Die Wärter trügen „schicke dunkelgrüne Jacketts wie in einem Ferienlager“. Die Kosten lägen pro Kind und Tag bei umgerechnet tausend Mark, monierte Leonard.
Dabei waren es die Tories, die das Projekt vor fünf Jahren ausgeheckt haben. Als er noch Oppositionsführer war, kritisierte Tony Blair das geplante Gefängnis als „Hochschule des Verbrechens“. Nach den Wahlen übernahm er das Projekt jedoch unverändert. Sein Innenminister Jack Straw behauptete, es sei zu kostspielig, den Tory- Vertrag über den Bau des Medway-Gefängnisses zu brechen. Er selbst hätte andere Vorstellungen gehabt, doch ihm seien die Hände gebunden. Kurz darauf kündigte er an, vier weitere Gefängnisse dieser Art bauen zu lassen.
Großbritannien hat eine der niedrigsten Altersgrenzen für Strafmündigkeit in Europa: Sie liegt in England und Wales bei zehn, in Schottland sogar nur bei acht Jahren. Entscheidend für die Verurteilung eines Kindes unter 14 ist der Beweis, daß es zur Tatzeit zwischen Recht und Unrecht unterscheiden konnte. Nach Medway kommen Kinder, die wegen Autodiebstählen und Einbrüchen verurteilt worden sind, wie der „Rattenjunge“ – wie ihn die Presse getauft hat – mit 170 Delikten oder der „Spinnenjunge“ mit 28 Einbrüchen in vier Monaten. Die Kinder sitzen die Hälfte ihrer Strafe – zwischen sechs Monaten und zwei Jahren – dort ab, die andere Hälfte verbringen sie unter Aufsicht zu Hause.
Tagsüber müssen sie am Schulunterricht teilnehmen. Hinzu kommen Diskussionsveranstaltungen, die darauf abzielen, das soziale Verhalten zu verbessern und das Selbstwertgefühl zu steigern. Insgesamt kümmern sich hundert Angestellte um die 40 Kinder. Die Direktorin Sue Clifton weist Kritik wegen eines zu milden Regimes zurück: „Der Entzug der Freiheit ist für sie Strafe genug.“ Die Kinder erhalten drei Pfund Taschengeld in der Woche, durch gutes Benehmen können sie sich ein paar Pfund hinzuverdienen.
Rob Allen, der Direktor der Gefangenenhilfsorganisation Nacro, bezweifelt jedoch, daß man überhaupt geschlossene Institutionen, noch dazu in privater Hand, für diese Altersgruppe benötigt. Die Rückfälligkeitsrate bei Teenagern, die in Gefängnisse gesteckt worden waren, sei erschreckend hoch, meint Allen. Statt dessen wünscht er sich mehr Projekte für jugendliche Straftäter, die von den einzelnen Gemeinden kontrolliert werden. Die seien nicht nur billiger, sondern würden auch das Vertrauen von Polizei, Gemeindeverwaltung und Sozialarbeitern genießen.
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