: Klauen macht Krebs, Amnesie und Hautschäden
■ Gezielte Beobachtungen im Alltag haben ergeben: Der gemeine Kaufhausdieb handelt oft im Affekt. Dabei lauert in jedem Regal eine andere Gefahr: sei es die Gefährdung der Gesundheit oder eine Anz
Oben, bei den Kosmetika, habe ich meinen Augen nicht trauen wollen, als ich die wohlparfümierte Lady ein Stück Seife von „Roger & Gallet“ in ihre Handtasche gleiten lassen sah. Na ja, vielleicht ist sie Kleptomanin, dachte ich, aber hoffentlich verkraftet sie das Xylol – diese Nitromoschus-Verbindung steckt ja auch in den Luxusartikeln.
Hier unten, im Karstadt-Keller der Leckereien, vergesse ich die Lady schnell, denn hier sind die alten Bekannten zugange: Corny- Knabe lungert zunächst beim Obststand rum, als suche er nach der neuen TransFair-Banane, dann macht er ein Wendung hin zu den Müslis und schiebt sich – ehe irgendeiner außer mir aufmerksam wird auf seine ungewöhnliche Bedachtsamkeit – zwei glänzende Riegel in die aufgeplusterte Jacke. Nachher an der Kasse wird er drei Büchsen Warsteiner Premium bezahlen, unbehelligt.
Und so hat er ein rechtes Schnäppchen gemacht. Nur da er (legal) den krebsverdächtigen Biphenol-A-diglycidylether an der Bierdoseninnenwand abbekommen kann, das weiß er wohl nicht, genausowenig wie da sein (illegaler) Prestigeappetit auf den „gesunden Pausensnack“ in Wahrheit einer Süßigkeit mit viel Zucker und wenigen Ballaststoffen gilt.
Auch Muttchen da, mit dem kobaltblauen Kopftuch, kenne ich gut; sie kauft sonst ehrlich, aber bei den Nu-Nougat-Cremes schlägt sie immer wieder zu. Bei ihrem Griff nach dem Schneekoppe-Glas würde ich ihr am liebsten auf die Finger hauen: nicht aus Sorge um Karstadts 24-Milliarden-Umsatz, sondern einfach, weil Muttchens Gesicht so aussieht, als neige es zu allergischen Hautproblemen. Und man weiß ja nicht, was das gentechnisch veränderte Soja langfristig so alles anrichten kann bei ihr. Wie soll die arme Frau auch besser auswählen, ohne Kennzeichnungspflicht. Und im Gegensatz zu Muttchen, wenn sie Pech hat, droht Nichtkennzeichnern eh keine Strafe, kein EU-Gesetz – keine Strafe.
Schließlich ist da der spindeldürre Hermann, der mir auf dem U-Bahnhof mal viel von gesunder Ernährung erzählt hat und der nun zu Karstadt kommt, um ein paar Becher Vanillemilch von Müller in seiner voluminösen Tüte verschwinden zu lassen. Auf die „Vitamine“ habe ich ihn schon öfters angesprochen, aber er mag den Vanillegeschmack so gerne. Meinen Rat, dann doch mal wenigstens unauffälliger zu klauen oder einfach anderswo als immer wieder hier, beherzigt er nicht. Und das, wo Müller es sich sechs Millionen Liter Diesel im Jahr kosten läßt, seine bald 800 Millionen Becher über 20 Millionen Straßenkilometer auch wirklich überall hinzubringen.
Drei Ladendiebstähle in 15 Minuten ... wahrscheinlich werden sie ungemeldet bleiben und nicht einmal zu den 48.000 jährlich in Berlin erfaßten Fällen gehören. Dabei würden sie sich gut in die Statistik fügen. Gut ein Drittel der Tatverdächtigen ist ihr zufolge zwischen acht und einundzwanzig Jahre alt, fast die Hälfte der Ladendiebstähle bleibt im Wert unter 25 Mark. Mehr als 60 Prozent der Langfinger sind Wiederholungstäter. „Delikt 3260“ des Strafgesetzbuches verursacht berlinweit einen jährlichen Schaden von 5,8 Millionen Mark, der freilich nicht mit dem durch Kreditbetrügereien im selben Zeitraum verursachten Schaden mithalten kann – das sind schon 43 Millionen.
Und sie könnten klauen und klauen und klauen, beim besten Willen würden Hermann und seine paar hunderttausend Kollegen in Deutschland es nicht schaffen, mit den Milliardenschäden zu konkurrieren, die dem Bund durch das Dividenden-Stripping der Großaktionäre entstehen. Dabei zeigen die Profis Daimler-Benz und Siemens doch anschaulichst, wie man's macht. Um zu echten Bedrohern des Wohlstandes zu zählen, haben meine Bekannten von Karstadt noch einen weiten Weg vor sich. Noch gehören sie wohl eher „zum Wohlstandsmüll“, hätte Herr Maucher von Nestlé vielleicht ergänzt.
Egal aber auch, ob sie den 57 Prozent der Deutschen, die sich durch Produktwerbung zunehmend gestört fühlen, zuzurechnen sind: versagt hat das Marketing bei ihnen ganz bestimmt nicht. Wozu würde denn eben eine Firma wie Nestlé 2,5 Milliarden Schweizer Franken jährlich für Werbezwecke aufwenden, wenn dann doch alle kaltblieben? Nur daß manche sich eben kriminell erwärmen. Manuel Rivera
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