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Sächsische Plaudertasche im Museum

■ Wie es kam, daß sich Sachsens Parlamentarier doch noch um die Stasi-Vergangenheit ihres Innenausschußvorsitzenden kümmerten

Leipzig (taz) – Normalerweise sind es spektakuläre Enthüllungen: Wenn in den vergangenen Jahren Stasi-Spitzel enttarnt wurden, dann hatte die Gauck-Behörde in ihrer 180 Kilometer langen Aktensammlung ein schönes Stück entdeckt, das der Spiegel oder ein Fernsehmagazin präsentierten. Oder ein Opfer sah seine Akte ein und beschuldigte lauthals den Spitzel.

Im Fall Herbert Goliasch ist das anders. Papiere, die ihn belasten, hängen schon seit einem Jahr öffentlich aus, im ehemaligen Leipziger Gebäude der Staatssicherheit, wo Bürgerrechtler ein kleines Musem aufgemacht haben. Über 5.000 Besucher zogen vorbei – doch nichts geschah. Dabei berichtet der Inoffizielle Mitarbeiter mit dem Decknamen Henri Guhl der Stasi- Hilfstruppe K 1 auf sieben Seiten detailgenau über eine Veranstaltung auf dem Leipziger Kirchentag. Teils wörtlich beschreibt der Mann mit der Registriernummer 0-158/85, wie ein Bischof aus Stockholm, Günter Gaus und andere zu „Hoffen oder Resignieren“ diskutieren. Daneben hängt ein Spiegel-Artikel, in dem Guhl schon 1994 als Goliasch enttarnt wurde. Jedoch: Der Bericht interessierte keinen.

Dabei ist Goliasch kein Niemand. Der 60jährige ist im sächsischen Landtag Chef des Innenausschusses, beim MDR zieht er die Strippen im Verwaltungsrat. Wenn Berichte von so einem im Stasi-Museum hängen, wäre das eigentlich ein schöner Happen für die SPD-Opposition. Doch die packte nicht zu. Sie schätzt Goliasch als einen in der CDU, mit dem sie besser reden und verhandeln kann als mit dem Faktionschef Fritz Hähle. Und so gehört auch Oppositionsführer Karl-Heinz Kunckel zu den Leuten, zu denen der 1,65 Meter kleine Goliasch während Parlamentssitzungen gerne an den Tisch kommt.

Doch vor einigen Wochen kam plötzlich Bewegung in Sachsens Parlament. „Schnellstens“ müsse der Stasi-Bewertungsausschuß die Sache Goliasch entscheiden, fordert der sonst so erzgebirgisch-gemütliche CDU-Chef Hähle. Der Mann solle das Amt des Innenausschußchefs ruhen lassen, rief SPD- Kunckel.

Ursache für den plötzlichen Eifer ist zunächst gar nichts der Fall Goliasch: Der Stasi-Bewertungsausschuß des Landtags empfahl im Frühjahr, drei PDS-Abgeordnete vor dem Verfassungsgericht zu verklagen, damit ihnen das Mandat aberkannt wird. Zufällig stöberten etwa zur gleichen Zeit Archivare bei der Gauck-Behörde weitere Goliasch-Akten auf. „Sachsen paradox“, rief prompt der Spiegel, bei PDS und CDU werde wohl mit zweierlei Maß gemessen. Da hatten noch nicht mal alle Mitglieder des Bewertungsausschusses die neuen Akten gelesen. Der Verdächtige erkannte die Situation sofort: „Ich bin stinksauer, daß jetzt der Eindruck entsteht, die CDU brät für mich eine Extrawurst.“ Aus gutem Grund. Ein Unionsmann analysiert, der Bewertungsauschuß sei wegen der PDS-Geschichte jetzt „verurteilt“, die Sache sehr genau zu untersuchen.

Im Ausschuß heißt es freilich, Anlaß für die Untersuchung seien die neuen Akten der Gauck-Behörde. Doch die neuen Papiere sind eigentlich nicht mehr wert als der Bericht, der schon seit einem Jahr im Museum hängt.

Goliasch, der Mormone ist, verteidigt sich damit, er habe den Führungsoffizier für einen staatlichen Kirchenbeauftragten gehalten. Nach den offiziellen Gesprächen über die Mormonen in der DDR habe man eben private Gespräche geführt. „Er bezeichnet sich als Plaudertasche, als Rindvieh“, berichtet Ausschußmitglied Gunther Hatzsch von der SPD. Doch wie schlecht Goliasch seine Chancen sieht, aus der Sache heil herauszukommen, zeigt eine verklausulierte Rücktrittsankündigung. Er werde wohl für den Fehler zahlen müssen, sagte er der Leipziger Volkszeitung. Nicht dafür, daß er ein Stasi-Spitzel sei, sondern dafür, „nicht erkannt zu haben, daß die alles interessiert“.

Am Mittwoch verschob der Bewertungsausschuß einstweilen die Entscheidung, um „noch weitere Informationen“ einzuholen. Was das ist, wurde nicht mitgeteilt. Vielleicht würde ein Museumsbesuch ja helfen. Georg Löwisch

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