: „Der DGB läßt sich einseitig vor den Karren der SPD spannen“
■ Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), seit fast einem halben Jahrhundert Mitglied der IG Metall, wirft dem Gewerkschaftsdachverband wegen seiner Kampagne für die SPD „einseitige Parteinahme“ und „Engstirnigkeit“ vor
taz: Herr Blüm, haben Sie ihre Beitragszahlung an die IG Metall schon eingestellt?
Norbert Blüm: Nein, meinen Beitrag zahle ich seit fast 50 Jahren. Ich warte auf die goldene Ehrennadel der IG Metall. Ärger gab es während der Zeit oft. Schon 1953 hatte ich die erste Erfahrung mit Gewerkschaftsausschlüssen. Da hatte der DGB das Motto: Wählt einen besseren Bundestag. Und die Gewerkschaftsjugend wurde aufgerufen, dafür zu wühlen. Weil ich das anders verstanden habe als die SPD-Leute, sollte ich rausfliegen. Aber Sie sehen, ich bin noch immer Gewerkschafter, und das wird auch so bleiben. Im Ergebnis haben die Wahlaufrufe des DGB das Wahlverhalten nie beeinflussen können, weil die Arbeitnehmer alle erwachsen sind.
Haben Sie denn inhaltliche Einwände gegen den DGB-Aufruf für Arbeit und soziale Sicherheit?
Nein, ich bin ja auch für soziale Gerechtigkeit, aber jeder riecht doch zehn Meter gegen den Wind, daß das, was der DGB jetzt im Wahlkampf veranstaltet, eine Kampagne für die SPD ist.
Sehen Sie darin eine Gefährdung der Einheitsgewerkschaft?
Ich sehe vor allem eine große politische Engstirnigkeit, denn ein großer Teil der von der Bundesregierung durchgebrachten Gesetze ist durch die Zusammenarbeit mit dem DGB zustande gekommen. Warum die das plötzlich unter Datenschutz stellen, ist mir unerklärlich. Bei vielen Fragen der Europapolitik waren die Gewerkschaften mit dieser Bundesregierung im selben Boot. Selbst nach dem Ende des Bündnisses für Arbeit haben wir erfolgreich kooperiert. Bei der Verbesserung der Altersteilzeit ebenso wie beim Langzeitarbeitslosenprogramm. Mit dem Schaum vorm Mund, mit dem der DGB jetzt agiert, beschädigt er solche Projekte.
Es gab Kristallisationspunkte, etwa bei der Lohnfortzahlung oder der Lockerung des Kündigungsschutzes, die auch den DGB in Opposition zur Regierung gebracht haben. Da ist es doch nur logisch, daß der DGB sich jetzt die Abwahl dieser Regierung wünscht.
Lassen Sie uns die Sache doch mal bei Licht betrachten. Die Lohnfortzahlung hat eher symbolische als reale Bedeutung. Tatsächlich haben die Gewerkschaften für die hundertprozentige Fortzahlung des Lohnes im Krankheitsfall in Tarifverträgen Kompensationen in Höhe von 20 Milliarden Mark akzeptiert. Das ist doppelt so viel, wie die ganze gesetzliche Einschränkung gekostet hätte.
Aber Sie können doch den Gewerkschaften nicht das Recht absprechen, eine andere Regierung zu wollen?
Was mich stört, ist die totale Einseitigkeit der Kampagne. Der DGB bilanziert doch nicht die Leistungen der Parteien mit dem gleichen Maßstab. Die SPD nimmt mit ihren Programmen die Arbeitnehmer doch auf den Arm. Wenn der Schröder etwa sagt, er lehnt die Rentenreform ab, und gleichzeitig sollen die Beiträge sinken, dann hat das doch nichts mehr mit Seriösität zu tun. Wie man mit weniger Geld mehr ausgeben kann, ist ein Verfahren, das nur im Märchen funktioniert. Dagegen hört man vom DGB nichts. Zur Glaubwürdigkeit gehörte eine echte Bilanz, die Plus und Minus auflistet. Statt dessen läßt sich der DGB einseitig vor einen Karren spannen und verschenkt so seine Unabhängigkeit. Die können und sollen ruhig die CDU attackieren, aber es wäre glaubwürdiger, wenn sie bei der SPD nicht beide Augen zudrückten. Dann wäre die Kritik auch im Sinne der Arbeitnehmer, was ich mir wünschte, wirksamer.
Tun Ihnen die acht Millionen, die die Kampagne kostet, weh?
Ich wüßte dafür auf jeden Fall eine bessere Verwendung. Das ist der gleiche DGB, der Stellen abbaut, der die betriebliche Altersrente seiner Mitarbeiter kürzt und der kaum Lehrlinge einstellt.
Werden jetzt viele christdemokratische Gewerkschafter austreten?
Nein, das rate ich auch niemandem. Ich verlasse ja auch nicht die katholische Kirche, obwohl mir da auch nicht alles paßt. Ich weiß, wie wichtig Gewerkschaften sind, und bin auch nach wie vor ein Anhänger der Einheitsgewerkschaft. Doch so, wie der DGB jetzt agiert, verschenkt er seine Kraft. Und das finde ich als Gewerkschafter mehr als schade. Wenn das Happening, das die DGB-Jugend vor dem Kongreßgebäude gegen die CDU veranstaltet hat, die Kraft der jungen Gewerkschaft repräsentiert, dann steht es um die zukünftige Arbeitnehmervertretung wirklich schlecht.
Wie geht es weiter, wenn die Koalition die Wahl gewinnt? Gibt es dann trotzdem ein neues Bündnis für Arbeit?
Ich gehe davon aus. Schon aus Klugheit. Die Gewerkschaften müssen für ihre Mitglieder handeln und nicht nach parteipoliischen Vorlieben.
Nach der Wahl sitzen also alle wieder an einem Tisch?
Es wäre dumm, wenn es nicht so wäre. Ich würde es auch morgen früh machen, wenn es sein müßte und könnte.
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