ICEs rasen ohne Schallmauer durch Berlin

■ Bahn will Genehmigung für 164 Hochgeschwindigkeitszüge ohne Schallschutz entlang der "Anhalter Bahn"-Strecke. Anwohner befürchten Dauerlärm. Petitionsausschuß des Bundestages prüft Einwände von Ini

Die Deutsche Bahn plant, die umstrittene ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke der „Anhalter Bahn“ durch den Bezirk Steglitz zu zwei Dritteln ohne Lärmschutzwände zu bauen. Entlang der bislang stillgelegten Strecke am Reichsbahndamm hatte der Senat in den siebziger Jahren den Bau von Wohnsiedlungen bis direkt an die Gleise genehmigt. Seit einer Woche befaßt sich der Petitionsausschuß des Bundestages auf Antrag von Berliner Bürgerinitiativen mit dem Fall und schaltete zusätzlich das Bundesverkehrsministerium ein.

Vom Dauerlärm der ICE- Strecke könnten in Zukunft rund 20.000 Anwohner betroffen sein. Nach aktuellen Bahn-Plänen sollen täglich 164 ICEs, ICs, Interregio- und D-Züge die Trasse mit Geschwindigkeiten von 160 Stundenkilometern zwischen Lichterfelde Ost und Zentrum befahren – neben 220 S-Bahn-Zügen. Doch die Pläne sind juristisch umstrittenen: Obwohl die Bahn in der Vergangenheit keinen Einspruch gegen den Bau von Wohnsiedlungen an dem seit 1952 stillgelegten Bahndamm einlegte und Grundstücke von jüdischen Besitzern erst jetzt für den anvisierten Ausbau zur Hochgeschwindigkeitstrasse abkaufte, handle es sich „nicht um einen Streckenneubau“, argumentiert die Bahn AG. Lärmschutzwände seien deshalb gesetzlich nicht vorgeschrieben.

Auch eine Verlegung der Trasse um zwei bis acht Meter nach Osten soll daran nichts ändern. Lediglich für Teile der östlichen Trassenbewohner sollen darum Schallschutzwände und -fenster in Höhe 8,8 Millionen Mark finanziert werden. Nahezu die gesamte Westseite aber bleibt ungeschützt. Der Leiter des „Projekts Anhalter Bahn“ bei der Bahn, Andreas Kleemann, erklärte gegenüber der taz: „Es hat sich ja auf westlicher Seite keine Verschlechterung ergeben.“

Tatsächlich betrifft die Lärmbelastung die West- und Ostseite gleichermaßen. Das ergab die Einsicht in Meßprotokolle. Ellen Büttner, Sprecherin der Umweltschutzinitiative Licherfelde Süd, hält Kleemanns Argument für „unhaltbar“. Statt der „verrotteten und teils demontierten Strecke entsteht ein Neubau, für den Lärmschutz gesetzlich vorgeschrieben ist“.

Kleemann macht die Bezirksverwaltung Steglitz verantwortlich. Steglitz hätte in der Vergangenheit keine Zugeständnisse an Siedlungsprojekte machen dürfen. In den kommenden drei Monaten wird das Eisenbahnbundesamt (EBA) die Verhältnismäßigkeit der Anwohner- und Bahn-Interessen abwägen. Offensichtlich aber hat sich das EBA bereits vorab mit der Bahn AG und dem Tochterunternehmen DB Projekt GmbH auf die „Genehmigungsfähigkeit“ verständigt, wie der EBA-Sprecher, Mark Wille der taz erklärte. Als genehmigungsfähig hält die Bahn den Bauplänen nach auch Lärm- dauerbelastungen tagsüber (bis 22 Uhr) von über 67 Dezibel (A) an der Bebauung und weit höhere Werte an den Grundstücksgrenzen. Der Petitionsausschuß des Bundestages bewertet die Bahn- Pläne allerdings kritischer: Ab Werten von 70 Dezibel tagsüber „beginnt bereits die mögliche Körperverletzung“, so eine Mitteilung des Ausschusses an die „Umweltschutzinitiative Lichterfelde-Süd“. Inzwischen liegen dem Petitionsausschuß auch dreizehn weitere Lärmprojekte der Bahn vor. Peter Sennekamp