: Darf man Koma-Patienten sterben lassen?
■ Streit um neue Richtlinie der Ärztekammer zur Sterbebegleitung. Papier wird heute beraten
Frankfurt/Main (taz) – Hospizverbände und Bundestagsabgeordnete haben gestern den Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) eindringlich aufgefordert, seine neue Richtlinie zur ärztlichen Sterbebegleitung nicht wie geplant zu beschließen. Angemahnt wird statt dessen eine weitere öffentliche Diskussion des erst Mitte August bekanntgegebenen Entwurfs, den der BÄK-Vorstand heute abschließend beraten will.
Das Papier ist brisant, weil es die ärztliche Herbeiführung des Todes bei PatientInnen rechtfertigt, die gar nicht im Sterben liegen, etwa bei Menschen im Koma oder bei schwerstbehinderten Neugeborenen. Voraussetzung für das „Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen“ ist laut BÄK-Entwurf, daß ein Bevollmächtigter oder Betreuer stellvertretend für den Betroffenen in den todbringenden Abbruch der Behandlung einwilligt und ein Vormundschaftsgericht diese Entscheidung genehmigt; bei schwerstbehinderten Neugeborenen sollen die Eltern im Einvernehmen mit dem Arzt darüber befinden, ob eine Behandlung des Säuglings aufgenommen werden soll oder nicht.
Die Herbeiführung des Todes durch Abbruch künstlicher Ernährung bei Menschen im Wachkoma ist nach Ansicht der Deutschen Hospiz Stiftung und der Malteser Hospizarbeit „in der praktischen Konsequenz eine Tötung auf vermutetes Verlangen“. Ein solches Vorgehen sei auch dann „für uns nicht vertretbar“, wenn eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung oder eine „mutmaßliche Einwilligung“ vorliege, heißt es in der Hospiz-Stellungnahme.
Nach Auffassung der Hospizvertreter gibt es für den Behandlungsabbruch überhaupt keine gesetzliche Grundlage. Diese Einschätzung unterstreicht auch der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe (CDU) in einem Brief an BÄK-Präsident Karsten Vilmar. „Unakzeptabel“ ist für Hüppe die Auslegung, derzufolge sich mit dem Paragraphen 1904 des Bürgerlichen Gesetzbuches der tödliche Behandlungsabbruch rechtfertigen lasse. Aber genau dies sieht das BÄK-Papier allgemeingültig vor – mit Verweis und gestützt auf zwei Einzelfall-Entscheidungen des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts Frankfurt.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Monika Knoche, drängt nun auf Klärung. Per Kleiner Anfrage, die sie gestern gemeinsam mit ihrer Fraktion eingebracht hat, will Knoche von der Bundesregierung erfahren, ob sie angesichts der geplanten Richtlinie „Handlungsbedarf“ sieht, „einer möglichen Aufweichung des Tötungsverbotes entgegenzuwirken“.
Außerdem fragen die Bündnisgrünen: „Inwieweit hält die Bundesregierung den Entzug von Nahrung zum Beispiel bei Wachkoma- Patientinnen für eine hinnehmbare Praxis?“ Die Antwort muß noch vor der Wahl vorliegen.
Abgelehnt wird das umstrittene Ärztekammer-Papier auch vom Selbsthilfeverband der Schädel- Hirn-Patienten in Not. Klaus-Peter Görlitzer
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