: Pinochet: Dem Gesetz ausgeliefert
■ Ein Sieg für das Menschenrecht: Augusto Pinochet darf nicht gen Heimat fliegen, sondern muß sich in London dem Auslieferungsverfahren unterziehen. Doch bis entschieden ist, ob der chilenische Ex-Diktator in Spanien vor Gericht gestellt wird, können noch Jahre vergehen
Heute wird Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet seinen ersten großen Auftritt vor Gericht haben. Vor dem Amtsgericht Belmarsh im Südosten Londons, wo sonst IRA-Kämpfer ihre Terrorismusprozesse bestritten, wird der General im Ruhestand und chilenische Senator auf Lebenszeit eine Erklärung verlesen. Damit nimmt das Verfahren seinen Lauf, mit dem die Auslieferung Pinochets nach Spanien geprüft werden soll.
Daß dieser Prozeß überhaupt weitergehen kann, liegt an der Entscheidung des britischen Innenministers Jack Straw vom Mittwoch, keine Einwände aus humanitären oder sonstigen Gründen vorzubringen. Straw hat bisher selten Applaus von der Parteilinken bekommen. Doch gestern feierten sie den britischen Innenminister, nachdem er grünes Licht für das Auslieferungsverfahren gegen Augusto Pinochet gegeben hat. Spanien will den chilenischen Ex-Diktator wegen Folter, Geiselnahme, versuchten Mordes und Mordkomplotts vor Gericht stellen – diese Punkte sah Straw als mit dem britischen Auslieferungsgesetz vereinbar an. Die spanischen Anklagepunkte Mord und Genozid allerdings erfüllten die Anforderungen des Auslieferungsgesetzes jedoch nicht, entschied Straw und nahm diese Punkte ausdrücklich vom weiteren Verfahren aus.
Bis es überhaupt so weit ist, daß Pinochet tatsächlich an Spanien ausgeliefert wird, können Jahre vergehen. Gestern noch wollten Pinochets Anwälte Widerspruch gegen Straws Entscheidung einlegen. Unabhängig davon wird heute nachmittag das Auslieferungsverfahren vor dem Magistrat in London eröffnet. Pinochet, der auf einem Landsitz im südenglischen Surrey unter Hausarrest steht, wird eine Erklärung verlesen. Das Urteil über die Auslieferung wird erst in einem halben Jahr gefällt. Sollte das Gericht die Auslieferung verfügen, kann Pinochet Berufung einlegen.
Ob Pinochets Anwälte gegen das Urteil des Oberhauses wegen Befangenheit eines Richters vorgehen werden, ist noch ungewiß. Die Lordrichter, Britanniens höchste Rechtsinstanz, hatten vorigen Monat entschieden, Pinochet keine Immunität zu gewähren. Inzwischen kam heraus, daß einer der Richter, Lord Hoffmann, Direktor einer Wohlfahrtsorganisation ist, die eng mit amnesty international zusammenarbeitet. Justizminister Lord Irvine of Lairg sagte gestern, er könne in der Sache nichts unternehmen, das sei Aufgabe der Gerichte: „Wenn General Pinochet eine Beschwerde hat, muß er sich mit seinen Anwälten beraten, welche Wege ihm offenstehen, um die Angelegenheit zu verfolgen.“
Bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind, werden wohl zwei Jahre vergehen. Darüber hinaus kann der 83jährige Ex-Diktator einen Antrag auf Haftprüfung stellen, wenn sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. In Spanien, sollte er denn schließlich ausgeliefert werden, bleibt Pinochet das Gefängnis erspart: Menschen über 75 können nach spanischem Recht nicht eingesperrt werden.
Michael Posner vom Anwaltsausschuß für Menschenrechte bezeichnete Straws Entscheidung als „Wendepunkt in der Verfolgung internationaler Verbrechen“. Richard Bunting von amnesty international fügte hinzu: „Gratulation an Jack Straw, daß er sich nicht dem politischen Druck gebeugt hat.“ Tory-Chef William Hague warf Straw dagegen „Feigheit“ vor. Die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher, bei der Pinochet während seiner Englandreisen stets auf ein Täßchen Tee vorbeischaute, sagte: „Jack Straw hatte die Macht, diese schändliche und schädliche Episode zu beenden. Er traf eine politische Entscheidung, sie zeugt von einem Versagen der politischen Führung.“ Wenige Stunden nach Straws Entscheidung rief die chilenische Regierung ihren Botschafter aus London zurück.
In Spanien hat Ermittlungsrichter Baltasar Garzón, der den Haftbefehl ausgestellt hatte, auf dem der Auslieferungsantrag basiert, unterdessen die USA aufgefordert, ihr Archivmaterial über die chilenische Miltärherrschaft zur Verfügung zu stellen. Auch über die „Operation Condor“, eine Zusammenarbeit der Geheimdienste mehrerer südamerikanischer Diktaturen gegen Oppositionelle, möchte Garzón aus US-Quellen informiert werden. Eine vollständige Öffnung der US-Archive dürfte auch Aufschluß über die detaillierte Beteiligung des US-Geheimdienstes CIA am Putsch in Chile geben. Außenministerin Albright hatte in der vergangenen Woche bereits vorbeugend von „schweren Fehlern“ der US-Lateinamerikapolitik gesprochen. Ralf Sotscheck, Bernd Pickert
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