: Deutscher Kotau vor Washington
In einem Papier von Scharping und Fischer über das strategische Konzept zur Nuklearstrategie wird das Thema Ersteinsatz stillschweigend fallengelassen ■ Aus Genf Andreas Zumach
Folgende, unter Berufung auf „deutsche Regierungskreise“ verbreitete dpa-Meldung zur Diskussion um die künftige Atomwaffenpolitik der Nato stand am Dienstag in mehreren deutschen Zeitungen: „Die Bundesregierung will erreichen, daß die Nato den Einsatz von Atomwaffen weitgehend ausschließt und sich zur Abrüstung aller Massenvernichtungswaffen bekennt. Diese mit Verteidigungsminister Rudolf Scharping abgesprochene Haltung wird Außenminister Joschka Fischer auf der Herbsttagung heute in Brüssel vorbringen ... Damit solle auch der nukleare Ersteinsatz wegfallen, den sich das Bündnis für eine unmittelbare Bedrohung vorbehält.“
Diese Darstellung wird jedoch nicht gedeckt duch den Wortlaut der „Zwischen AA und BMVg abgestimmte(n) Linie zum Strategischen Konzept und zur Nuklearstrategie“. In dem dreieinhalbseitigen Papier, das der taz vorliegt, kommt der Begriff „Ersteinsatz“ lediglich in der eingangs zitierten Passage aus der Koalitionsvereinbarung vor, wonach sich die „neue Bundesregierung für den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen einsetzen wird“. In den dann folgenden „Grundsätzen, von denen sich die Bundesregierung bei der Bündnisdiskussion über die Überprüfung des Strategischen Konzepts leiten lassen wird“, fehlt das Thema „Ersteinsatz“.
Zugleich fehlt eine klare Absage an die Pläne der USA, die bisherige Nukleardoktrin der Nato auszuweiten auf „militärische Counterproliferation“, das heißt, künftig mit dem Atomwaffeneinsatz gegen sogenannte „Schurkenstaaten“ oder „terroristische Netzwerke“ zu drohen, um diese von der Anschaffung biologischer oder chemischer Waffen abzuhalten. Statt eindeutig festzustellen, daß sich die Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln nur mit politisch-diplomatischen Mitteln und durch Abrüstung der bestehenden A-Waffenarsenale erreichen läßt, heißt es in dem gemeinsamen Papier wörtlich: „Die Proliferation von Massenvernichtungswaffen stellt zwar kein neues und herausragendes Rational der nuklearen Abschreckung dar, doch wird die Bündnisstrategie den daraus erwachsenden Risiken im Rahmen ihrer Strategie der Abschreckung und Kriegsverhinderung Rechnung tragen müssen.“ Mit dieser Öffnungsklausel können die USA und andere Befürworter einer Politik der Counterproliferation durch Atomwaffendrohung sehr gut leben.
Völlig unnötig schränken Scharping und Fischer das Mitspracherecht Deutschlands über die künftige Atomwaffenstrategie der Allianz ein, indem sie es von der „nuklearen Teilhabe“ abhängig machen, das heißt von einer fortgesetzten Stationierung amerikanischer Atomwaffen in Deutschland. Wörtlich heißt es: „Die Überprüfung und – wo nötig – Anpassung des Strategischen Konzepts wird im Bündniskonsens verfolgt. Unser Einfluß auf die Nuklearstrategie der nuklearen Bündnispartner beruht auf der nuklearen Teilhabe im Bündnis.“
Die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands besteht in der Stationierung von derzeit rund 65 substrategischen Atomwaffen. Die bisherigen Planungen der USA für eine Politik der „militärischen Counterproliferation“ stützen sich auf außerhalb der USA stationierte substrategische bzw. taktische Atomwaffen. Die in dem Papier formulierte Haltung könnte sich als Hindernis für den Abzug dieser Atomwaffen aus Deutschland erweisen.
Berichten von der Brüsseler Nato-Außenministertagung war zu entnehmen, erst unter dem Eindruck klaren Widerspruchs der drei Atomwaffenmächte USA, Großbritannien und Frankreich sowie mangels Unterstützung der übrigen Nato-Staaten habe Fischer die Forderung nach Verzicht auf Ersteinsatz aufgegeben. Doch das Einigungspapier zwischen AA und BMVg wurde bereits letzte Woche formuliert und noch vor der Brüsseler Außenministertagung den Botschaftern der 15 Partnerstaaten übergeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen