: Die Pendler kommen
Nach dem Regierungsumzug werden Tausende Beamte zu Pendlern. Die logistischen Probleme sind noch ungelöst ■ Von Markus Völker
Berlin (taz) – Das Pendeln der Regierungsangestellten ist offenbar ganz und gar nicht deren Lust. Zwischen Bonn und Berlin wird zwar eifrig gejettet, Bahn und Auto gefahren. Doch der hochfrequente Shuttle-Verkehr bringt Probleme: logistische Unwägbarkeiten und Pendlerfrust.
Noch ist die Spitze des Hin und Her zwischen alter und neuer Bundeshauptstadt nicht erreicht. Ende des Jahres, nach dem Umzug des Bundestages und verschiedener Bundesministerien, steigt die Zahl der Pendler, die in beiden Richtungen unterwegs sind, enorm an.
Die Arbeitsgruppe Transportfragen des Bundesverkehrsministeriums rechnet an jedem Wochenende mit 5.000 bis 6.000 Menschen auf dieser Strecke. Zu den etwa 3.300 Pendlern, die in Berlin arbeiten, aber weiterhin in Bonn leben, kämen rund 400 Dienstreisende. In der Gegenrichtung werden circa 1.000 Bonn-Pendler und 400 Dienstreisende erwartet. Hinzu kommt noch ein Troß von Journalisten und Lobbyisten.
Um den Ansturm zu bewältigen, arbeitet das Verkehrsministerium seit vergangenem Sommer an einer Lösung der logistischen Probleme. Eine europaweite Ausschreibung (Nr. 136172) soll, wie es heißt, „die Beförderung von Personen – insbesondere Wochenendpendlern – mit ihrem Gepäck“ absichern. Dabei sei es egal, ob Flugzeug oder Eisenbahn als Beförderungsmittel dienen. Hauptsache, es funktioniert.
Im Rahmen der Ausschreibung bewerben sich die Deutsche Bahn und verschiedene Fluglinien, unter ihnen Aero Lloyd, Germania und die Lufthansa. Eine Entscheidung soll im März fallen. Zur Verfügung stehen 750 Millionen Mark aus dem Gesamtumzugsbudget von 20 Milliarden Mark. Wahrscheinlich ist eine Doppellösung von Luft- und Bahnverkehr. Anders sei, so die Arbeitsgruppe, der Pendelverkehr nicht zu bewältigen.
Die Deutsche Bahn AG wird voraussichtlich zwei bis drei Direktzüge, sogenannte Sprinter, einsetzen. Pro ICE-Zug können 759 Menschen transportiert werden. Mit dem Flugzeug müßten nach Berechnungen des Verkehrsministeriums zwischen 1.200 und 2.000 Personen am Freitag abend bzw. Sonntag abend und Montag morgen reisen. Bundeswehrmaschinen stehen nicht zur Verfügung; die Airbusse seien ausgelastet, heißt es. Militärische Aufträge hätten Vorrang.
Bisher hat die Deutsche British Airways den Beamtenshuttle übernommen. Im normalen Linienflugzeug sind 30 Prozent der Plätze für die reisenden Beamten reserviert. An der Ausschreibung beteiligt sich die Deutsche BA jedoch nicht.
Schon jetzt, betont die baupolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Franziska Eichstätt-Bohlig, gebe es keinen Platz mehr im Flieger, wenn man sich nicht rechtzeitig anmelde. Zur Hochzeit des Pendelverkehrs prophezeit sie unzählige organisatorische Unwägsamkeiten – von Megastaus bis zu schweren Kommunikationslücken –, die so weit reichen, daß die Arbeitsfähigkeit der Ministerien ernsthaft in Gefahr gerate. „Das wird auch nach der Ausschreibung nicht anders sein.“
„Bisher“, meint Eichstätt-Bohlig, „waren in Bonn, was Umzug und Pendeln angeht, Angst und Verdrängung sehr groß.“ Das bestätigt auch Volker Matern vom Verkehrsministerium. Große Verunsicherung sei da. Er selbst wisse auch nicht, wann er abgezogen werde, wo er wohnen und ob er pendeln werde.
Eines weiß Matern jedoch: „Pendeln ist nicht meine Wunschvorstellung. Das ist nur als Übergang tolerierbar, nicht aber als Dauereinrichtung.“ Viele Beamte reagierten mit massivem Widerstand. „Vor allem die eingefleischten Rheinländer sperren sich nach Leibeskräften gegen Umzug und Pendelei. Für die ist das eine Horrorvorstellung“, ergänzt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums.
Langsam kehre bei den Bundesbediensteten aber doch Vernunft ein, so Eichstätt-Bohlig. „Endlich benehmen sich die Beamten wie Hinz und Kunz auch, kaufen sich einen Stadtplan von Berlin und schauen in die Immobilienzeitung nach einer Wohnung vor Ort.“
Das ist auch zu empfehlen, denn trotz der aufwendigen Planungen des Verkehrsministeriums – so soll etwa mit Gleitzeitregelungen und verlängerter Arbeitszeit der Pendler-Andrang besser verteilt werden – dürfte es zu Engpässen kommen.
Der bevorzugte Flughafen im Nordwesten Berlins, Tegel, ist vollkommen ausgelastet. Das bestätigt Rosemarie Meichsner von der Berlin Brandenburg Flughafen Holding (BBF). Nur auf dem abseits gelegenen Flughafen Schönefeld im Südosten Berlins sind noch Kapazitäten vorhanden. Schönefeld ist aber nicht der Wunschflughafen der Bundesbediensteten, da die Anreisezeiten ins Zentrum im Vergleich zu Tegel länger sind.
Ein Sprecher der Bahn prophezeit, daß „mindestens 400 Pendler“ auf planmäßige Züge ausweichen müssen. Ein Mitarbeiter von Aero Lloyd erklärt, daß mindestens zehn Flugzeuge benötigt würden. „Aber keine Linie der Welt ist in der Lage, die einfach aus dem regulären Flugbetrieb herauszunehmen, zumal es sich nur um einen Hinflug handelt.“ Deswegen seien die großen Gesellschaften bei der Ausschreibung auch zurückhaltend, weil die am Wochenende „keine Lücke“ hätten.
Auch Ferienflieger Aero Lloyd, der verspricht, daß die schönsten Wochen des Jahres schon lange vor dem Start beginnen, bringt seine Passagiere am Wochenende lieber an den Strand als ans Spreeufer. „Das wird für uns sicher kein Geschäft“, sagt ein Sprecher.
Mit einem um 15 Prozent verbilligten Pendlerticket bringen S-Bahn oder Airport-Express die Pendler in 30 bis 45 Minuten zum Bahnhof Zoo. Die Fahrt werden manche der Bundesbediensteten mit gemischten Gefühlen antreten. Im Bahnhof Zoologischer Garten sehen viele Bonner Beamte exemplarisch die Verrucht- und Verkommenheit der neuen Metropole – und pendeln lieber zurück in die rheinländische Heimeligkeit. Wenigstens am Wochenende.
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