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„112 Menschen erschossen. Ihre Leichen verbrannt“

■ Hunderte Flüchtlinge bezeugen: Mindestens 3.200 Menschen wurden im Kosovo umgebracht, 200 Dörfer zerstört. Wir dokumentieren eine Zusammenfassung der US-Regierung

In mindestens 50 Dörfern des Kosovo hat es Hinrichtungen gegeben, rund 200 Dörfer sind ganz oder teilweise verbrannt worden, mindestens 3.200 Menschen wurden umgebracht. Das geht, laut der spanischen Zeitung „El Pais“ aus einem vertraulichen Bericht hervor, den die US-Regierung aufgrund von Zeugenaussagen Überlebender zusammengestellt hat. Der Bericht liege der Zeitung vor, schreibt „El Pais“, und dokumentiert den Text in einer Zusammenfassung.

Der US-Bericht führt detailliert auf, Dorf für Dorf, was seit Ende März geschehen ist: Hunderte von Berichten geben Zeugnis davon, wie die Kosovo-Albaner erschossen, per Genickschuß hingerichtet, in ihren eigenen Häusern verbrannt, aus ihren Städten vertrieben, nach Geschlechtszugehörigkeit getrennt, aus ihren Autos und den Kirchen, wo sie Zufucht gesucht hatten, herausgerissen und als menschliche Schutzschilde benutzt wurden: Die Lektüre dieser gekürzten Zusammenfassung ist erschreckend.

Acareva: Das Dorf wird am 30. März niedergebrannt.

Bela Cervka: 38 Bewohner werden getötet und ihre Leichen in den Fluß Bellaja geworfen. Möglicherweise 500 weitere Ermordete.

Cirez: 20.000 Kosovaren werden als menschliche Schutzschilde eingesetzt.

Dakovica: Paramilitärs brennen ein bewohntes Gebäude nieder und töten 100 Bewohner. 70 Leichen werden in zwei Häusern, 33 in einem nahegelegenen Fluß gefunden. Das Heer zwingt am 29. März alle Überlebenden zur Flucht. 14.000 überschreiten am 5. April die albanische Grenze.

Glogovav: Das kosovarische Wohnviertel wird niedergebrannt. Zahlreiche Festnahmen und Hinrichtungen. Keine Zahlen.

Izbica: Seit Mitte März wurden 270 Menschen ermordet.

Klina: Am 28. März beginnt die Vertreibung der gesamten kosovo-albanischen Bevölkerung. Bei Zusammenstößen mit der UÇK benutzen die serbischen Sicherheitskräfte 500 Einwohner als menschliche Schutzschilde.

Kosovska Mitrovica: Vom 23. März an werden alle Einwohner vertrieben. Die Persönlichkeiten der Stadt werden umgebracht, wie Latif Berisha, Dichter und Vorsitzender der Demokratischen Allianz, der in seinem Haus hingerichtet wird. Gewerkschaftsführer Agim Hajrzi wird gemeinsam mit seiner Frau und seinem zwölfjährigen Sohn umgebracht.

Malakrusa: 112 Menschen erschossen. Ihre Leichen später verbrannt.

Maliseo: Einwohner werden lebendig verbrannt. Männer werden von Frauen getrennt. Am 27. März werden 50 Menschen ermordet. Am 30. März werden Teile des Dorfes in Brand gesetzt.

Negrovce/Orahovac: Fünf Hinrichtungen am 5. April. Vertreibung einer Gruppe Zigeuner – diese berichten, die serbischen Kräfte hätten 50 Einwohner umgebracht, darunter Frauen und Kinder.

Oriate: Am 30. März werden 200 Menschen getötet und das Dorf in Brand gesteckt.

Pec: 50.000 Menschen werden vertrieben. Am 27. März werden 50 Kosovaren umgebracht und in den Gärten ihrer Häuser verscharrt.

Podujevo: Am 5. April zerstören verschiedene Feuer etwa 90 Prozent der Stadt: Zweihundert Männer im wehrfähigen Alter werden hingerichtet, Fahrer aus ihren Autos gezerrt und ermordet.

Pritina: Evakuierung. Die serbischen Kräfte fordern per Lautsprecher die Bevölkerung auf, die Hauptstadt zu verlassen, anderenfalls würden sie getötet. Zeugenaussage über einen von Militärs begleiteten LKW, auf dem Leichen transportiert werden. Rund 200.000 Menschen werden während der Evakuierung festgenommen. Den Vertriebenen fehlt es an Lebensmitteln, Wasser, Medikamenten und Obdach. Der Rechtsanwalt Bjram Kelmendi, ein Menschenrechtsexperte, wird offenbar mit seinen beiden Söhnen zusammen ermordet. Häuser und Geschäfte werden in Brand gesetzt. Eine aus Polizei und Paramilitärs zusammengesetzte Truppe trennt die Männer vom Rest der Bevölkerung. Etwa 25.000 Kosovo-Albaner werden mit der Eisenbahn am 1. April nach Makedonien deportiert. Zwanzig Ex-Mitarbeiter der OSZE werden festgenommen:

Rugovo: Mindestens 50 Menschen werden hingerichtet.

Srbica: 115 Männer über 18 Jahre werden hingerichtet. 20.000 Gefangene werden zu einer örtlichen Waffenfabrik geführt.

Stimlje: Die Gebäude des Menschenrechtskomitees, der Demokratischen Liga des Kosovo und der OSZE werden niedergebrannt. Rund 25.000 Menschen werden evakuiert.

Suva Reka: Serbische Kräfte ermorden mindestens 30 Einwohner, viele davon verbrennen in ihren eigenen Häusern: Am 28. März werden rund 60 Prozent der Stadt niedergebrannt. Am 4. April werden rund 40 Männer umgebracht und in einem Massengrab verscharrt. Insgesamt schätzt man 350 Ermordete.

Velika Krusa: Informationen, nach denen serbische Kräfte 150 bis 160 Kosovo-Albaner umgebracht und die Leichen von 50 Menschen in einem Massengrab beerdigt hätten, scheinen sich durch ein Videoband eines Überlebenden zu bestätigen.

Vuctrn: Alle von OSZE-Beobachtern bewohnten Häuser werden in Brand gesteckt: Männer werden von Frauen und Kindern getrennt. Am 27. März werden vier Jugendliche umgebracht, darunter ein Mädchen von 14 Jahren.

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