: Dantes Inferno knapp entkommen
■ Nach rasanter Talfahrt geht es mit dem Sozialpalast langsam wieder bergauf. Seit einem Jahr arbeitet ein Präventionsrat mit dem Hauseigentümer und den Bewohnern an einer deutlichen Verbesserung, langfristig soll Quartiersmanagement helfen
Die 85jährige Elli G. ist mit jedermann per du. Ihre große Leidenschaft gilt dem Skat und den Zigaretten, von denen die rüstige alte Dame mit den verwuschelten weißen Locken täglich eine ganze Schachtel raucht. Am 26. August sind es genau 22 Jahre, die Elli G. im Schöneberger Sozialpalast lebt. Von ihrer im zehnstöckigen Hochhaus gelegenen Zweizimmerwohnung hat Elli G. einen wunderbaren Blick über die Stadt. Auch sonst will die Witwe ihr Heim nicht missen, allen Horrormeldungen in den Medien zum Trotz. In dem 200 Meter langen Etagenflur wohnt sie mit Russen, Türken, Jugoslawen und Polen Tür an Tür. Mit den meisten ihrer Nachbarn kommt sie gut aus.
In dem Hochhaus und den drei Flachbauten wohnen rund 2.000 Menschen aus 25 Nationen. Die meisten von ihnen leben von der Sozialhilfe. Mitte der 90er Jahre entwickelte sich der „Palast“ immer mehr zum sozialen Brennpunkt. Durch bauliche Mängel, Vandalismus, Verwahrlosung und Kriminalität geriet das Gebäude zu guter Letzt so in Verruf, daß CDU-Fraktionschef Klaus Rüdiger Landowsky im Frühjahr 1998 die Sprengung der Anlage forderte. „Auf den Treppen und in den Ecken lagen Fixer und Besoffene“, erinnert sich Elli G. Am schlimmsten aber seien „die Feuerteufel“ gewesen, die den Abfall in den Müllschächten angezündet hätten.
Aber seit einigen Monaten gehe es mit dem Sozialpalast wieder aufwärts, hat die Rentnerin festgestellt. „Es wird viel mehr aufgeräumt und saubergemacht.“ Ein Rundgang durch den „Palast“ bestätigt, daß hier einiges geschehen ist. Seit einem Jahr arbeitet der Präventionsrat Schöneberger Norden zusammen mit der Eigentümergesellschaft „Wohnen am Kleistpark“ und interessierten Bewohnern an Ideen, wie die Situation in dem Betonklotz verbessert werden kann. Und schon bald soll der Sozialpalast vom sogenannten Quartiersmanagement profitieren, einem gerade angelaufenen Senatsförderprogramm zur Verbesserung des Wohnumfeldes in problembelasteten Kiezen.
Zu den kurzfristigen Maßnahmen gehört, daß die Eingangstüren repariert worden sind. Dadurch gelangen Junkies und Obdachlose nicht mehr so leicht in das Gebäude. Nachts patrouilliert der Wachschutz mit Hunden durch die Anlage. Unter Beteiligung der Bewohner wurden große Teile der verschmierten Flure neu gestrichen. Um die alten Mieter zu halten und neue hinzuzugewinnen, ist die Miete um drei Mark pro Quadratmeter auf 13 Mark gesenkt worden. Die Auszugswelle, die nach Landowskys Abrißvorschlag eingesetzt hatte, ist inzwischen gestoppt. Aber 50 der ingesamt 514 Wohnungen stehen immer noch leer.
Langfristig soll der Sozialpalast vom Quartiersmanagement profitieren, einem Programm, das für den gesamten Schöneberger Norden gerade angelaufen ist. Quartiersmanagement heißt: Das Viertel soll durch soziale, bauliche und wirtschaftliche Maßnahmen stabilisiert werden. Was den Sozialpalast angeht, ist die Planung schon relativ weit fortgeschritten. Der große Parkplatz hinter dem Palast soll unter Bürgerbeteiligung zu einem Park, genauer gesagt zu einem Schluchtenwald mit Aktions- und Grünflächen umgestaltet werden. Die dreispurige Pallasstraße wird möglicherweise um eine Fahrspur reduziert, damit ein erweiterter Vorplatz entstehen kann. In den Höfen des Sozialpalastes soll es Spiel- und Sportinseln für die Kinder geben. Die Entwürfe dazu können in den kommenden zwei Wochen im Vorortbüro der Arbeitsgemeinschaft für Sozialplanung und angewandte Stadtforschung (AG Spas) im Sozialpalast besichtigt werden.
Auch die Pläne für die Umbaumaßnahmen im Hochhaus liegen vor. Der Architekt will die 200 Meter langen Flure in sechs Teilabschnitte untergliedern und an der Pallasstraße eine Portiersloge einrichten. „Unser Anliegen ist, daß sich möglichst viele Anwohner an der Planung und Ausführung beteiligen“, erklärt Stadtplanerin Beate Miculcy von der AG Spas. „Denn nur wenn sich die Leute mehr mit ihrem Kiez identifizieren, werden sie auch pfleglicher mit ihm umgehen.“
Im Hof sammelt ein kräftiger großer Mann in einem blauen Arbeitsanzug Müll auf. Der 51jährige Siegfried Burchhart ist der Chef der drei Hausmeister des Sozialpalastes. Sein einer Kollege ist Türke, der andere Pole. Burchhart, der früher Fernfahrer war, hat die Aussicht auf die Hausmeisterstelle vor fünf Jahren in den Sozialpalast verschlagen. Bis dahin hatte er in einer Kleinstadt in Brandenburg gelebt.
Sein erster Eindruck: „Dantes Inferno.“ Daß er im Laufe der Jahre immer mehr zum Zyniker geworden ist, liegt nicht nur daran, daß er ständig den Dreck anderer Leute wegräumen muß. Er ist auch schon einmal mit scharfer Munition beschossen und zweimal zusammengeschlagen worden. Aber das ist schon lange her. Sprechen möchte Burchhart darüber heute nicht mehr. Trotz aller Skepsis, was die Wandlungsfähigkeit der Menschen „durch so schöne Worte“ wie Bürgerbeteiligung angeht, versucht er seinen Blick nach vorn zu richten. „Ein bißchen Hoffnung hab' ich ja noch, daß sich was ändert.“
Bei den Kinder des Sozialpalastes dagegen sorgt das Quartiersmanagement schon jetzt für glückliche Gesichter. Drei ABM-Kräfte reparieren seit ein paar Tagen in einer zugigen Durchfahrt kostenlos die Fahrräder der Kids. „Als wir angefangen haben, ist hier kein einziges Kind mit einem Rad rumgekurvt“, erzählt der 42jährige arbeitslose Schornsteinbauer Bernd mit stolzem Blick auf die im Hof herumradelnde Kinderhorde.
Bei der Frage, was das Wort Quartiersmanagement bedeutet, müssen die Kinder passen. „Keine Ahnung“, schüttelt der elfjährige Yunus den Kopf.
Auch die 85jährige Elli G. hat zwar noch nie davon gehört, aber sie weiß auf Anhieb eine Antwort: „Det is, wenn ick een hab, den ick einquartieren möchte.“ Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen