: Der Concierge sieht alles
In Berliner Plattenbauten sorgen Portiers rund um die Uhr für Ordnung und Sicherheit. Mit mehr Menschlichkeit soll dem drohenden Leerstand begegnet werden ■ Von Richard Rother
Leise, fast lautlos öffnet sich die Tür. Rechts hängt ein Spiegel, links die Hausordnung. Ordnung muss sein in der Raoul-Wallenberg-Straße in der Berliner Satellitenstadt Marzahn. Damit das so bleibt, sitzt der gebürtige Ungar Istvan Kollmer hinter dem Empfang, bei Bedarf den Türöffner drückend. Er trägt so was wie eine Uniform, graue Hose, hellblaues Hemd. Und ein Goldkettchen um den Hals. Es fehlt nur eine Dienstmütze.
Kollmer ist Concierge – Hausmeister, Wachmann, Beichtvater in einem. Er sorgt für Ordnung. Niemand kann unbemerkt das Hochhaus betreten. Rund um die Uhr sitzt jemand hinter dem ausladendem Tresen, Kollmer hat Spätschicht. Den Eingangsbereich mit dem Charme einer frisch sanierten Provinzbahnhofshalle hat Kollmer fest im Blick. Auf zwei Bildschirmen kann er auch das Geschehen rund um den 21-stöckigen Bau verfolgen. 16 Kameras sind dafür installiert.
„Früher hatten wir große Probleme. Das Haus wurde vollgeschmiert, immer wieder wurden Glasscheiben eingeschlagen“, erinnert sich der 45-Jährige. Nach der Sanierung des Hauses wurde der ehemalige Hausmeister zum Concierge befördert. Seitdem gibt es diese Sorgen nicht mehr. Darauf ist Kollmer stolz: „Jetzt bleibt hier alles sauber.“ Zum Beispiel die frisch geputzten grauen Kacheln auf dem Boden, die im Neonlicht glänzen. Oder die zwei Stahlstühle neben dem Eingang – auf einem sitzt ein ungeduldiger Herr im Anzug, auf seine Frau wartend.
In den rund 300 Wohnungen leben über 1.000 Menschen. Keine Seltenheit in Marzahn – 44 Häuser mit mehr als 18 Geschossen gibt es in dem größten Plattenbau-Bezirk, den die DDR aus dem Boden stampfte, um das große Wohnungsproblem der 70er-Jahre zu lösen. Eine Million Wohnungen sind damals gebaut worden. Herausgekommen sind eintönige Hochhaussiedlungen – die größte ist Marzahn mit mehr als 150.000 Bewohnern.
Früher waren die Wohnungen hier beliebt. Sie galten als hell, komfortabel, billig. Die typische ostdeutsche Mittelstandsfamilie – er Facharbeiter, sie Ingenieurin – zog gern an den Stadtrand. Nach der Wende kamen die Probleme: Arbeitslosigkeit, Wegzug der Wohlhabenden, die Angst vor der Verelendung machte die Runde.
Amerika diente als Vorbild, um diesen Trend aufzuhalten: Riesige neue Einkaufs- und Freizeitcenter entstanden. Auch das so genannte Doorman- (Türsteher-)Konzept wurde übernommen. Für Erika Kröber von der Marzahner Wohnungsbaugesellschaft sind die Doormen nicht, wie in den USA, nur für die Sicherheit der Mieter zuständig: „Sie erfüllen auch Service-Funktionen.“ Die Concierges gießen im Urlaub die Blumen und füttern die Fische, nehmen Pakete entgegen und leeren die Briefkästen. Kollmar macht sein Job Spaß: „Und wenn einer seinen Schlüssel vergessen hat, helfen wir gerne aus.“ Das sei schließlich billiger, als einen Schlüsseldienst zu bestellen.
Kollmer kennt inzwischen alle Bewohner in seinem Haus und ist, wie seine Pariser Vorbilder, immer bestens informiert über ihre Gewohnheiten. Natürlich wisse er, wer wann mit wem nach Hause komme. „Dass einer mal fremdgeht, wenn die Frau im Urlaub ist – so ist nun mal das Leben“, lächelt der Schnauzbartträger verschmitzt und schickt das Wort Schweigepflicht hinterher.
Die Concierges sind auch im Senat beliebt, der Berlin zu einer modernen Dienstleistungsmetropole entwickeln will. Der Sprecher der CDU-geführten Wirtschaftsverwaltung, Michael Wehran, glaubt, dass hier ein noch längst ein großes Beschäftigungspotential stecke, vor allem für Arbeitslose mit elementaren handwerklichen Fähigkeiten und genügender Sozialkompetenz. Zwar sei die Einrichtung von Concierge-Logen mit beträchtlichen Kosten verbunden, dennoch könnten in Zukunft 5.000 bis 10.000 neue Jobs entstehen, schwärmt Wehran.
Derzeit gibt es gerade mal 50 Concierges in Ost- und Westberlin. Damit es möglichst schnell mehr werden, hat die Wirtschaftsverwaltung gemeinsam mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wohnungswirtschaft (BBA) ein Konzept für die Weiterbildung zum Concierge entwickelt.
Ab Oktober sollen rund 200 Sozialhilfeempfänger zum Concierge umgeschult werden, die sich dann bei den Wohnungsbaugesellschaften bewerben können. BBA-Chef Klaus Leuchtmann aber sieht die Arbeitsmarktpotentiale skeptischer als der Senat. Er sieht höchstens 1.000 Concierges, die es zukünftig in Berlin-Brandenburg geben könnte.
Die müssen einiges lernen. In den 250 Unterrichtstunden der BBA-Weiterbildung steht in erster Linie ein Kommunikationstraining auf dem Programm. „Die künftigen Concierges müssen lernen, freundlich aufzutreten und gezielt auf die Wünsche der Mieter einzugehen“, sagt Leuchtmann. Darüber hinaus werden in dem Kurs Grundkenntnisse in Mietrecht, Wohnungswirtschaft und – in Selbstverteidigung vermittelt. Leuchtenberg: „Wenn da mal einer betrunken nach Hause kommt, kann viel passieren.“
Concierge Kollmer hat keine Angst. Er kennt seine Pappenheimer, alle Tricks und ist beliebt. Die Blumen auf dem Tresen hat ihm ein Mieter beim Auszug geschenkt. Auch bei den anderen Bewohnern kommt Kollmer gut an. Fast alle grüßen freundlich: der junge Mann in Khaki-Jeans ebenso wie der Rentner im Jogging-Anzug, die Frau im Sekretärinnen-Kostüm wie der Teenie im Girlie-Look.
Sie alle scheinen kaum Probleme mit den neugierigen Blicken der Portiers zu haben. Erika Kröber weiß von keinem zu berichten, der wegen der Concierges weggezogen ist: „Eher umgekehrt“. Und das, obwohl Neumieter für den Service 1,50 Mark pro Quadratmeter extra hinlegen müssen. Für Altmieter ist der Concierge ein Bonus. Das kommt gut an in Marzahn. Schließlich steht der Wunsch nach mehr Sicherheit in dem Bezirk ganz oben auf der Wunschliste. Dass nicht nur die soziale Sicherheit gemeint ist, spürt man in der Raoul-Wallenberg-Straße. Die meisten Leute hier begrüßen die Anwesenheit der Concierges – nur ein paar Teenies vermissen die alte Anonymität.
Kollmer sieht sein Aufgabe nicht allein darin, Bösewichte abzuschrecken und kaputte Stühle zu reparieren. Er ist auch Seelsorger, sagt er. Immer wieder würden Mieter mit ihm schwatzen und ihm ihre Probleme anvertrauen, sagt Kollmer. Gegen 21 Uhr kommt kommt ein Mieter, von Beruf Kaufhausdetektiv, nach Hause, lehnt sich auf den Tresen, gibt Kollmer die Hand und berichtet von seinem Stress auf Arbeit. Einen Kinderwagen hätten sie mitgehen lassen wollen, erzählt der kurzhaarige Mittzwanziger. „Und dann behaupten die, sie hätten ihn nur kurz ausprobieren wollen.“ Na ja, ihm könne man nicht alles weismachen. Aber dreist sei schon, dass die Ukrainer mit deutschem Pass hinterher so getan hätten, als ob sie kein Deutsch verstünden. „Die Brüder lieb ich, Istvan.“ Kollmer nickt viel sagend.
BBA-Chef Leuchtmann will, dass „unsere Siedlungen wieder persönlich werden“.
Concierge Kollmer tut alles dafür.
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