: Schröder darf, was Kohl nie durfte
■ Pariser Nationalversammlung lauscht erstmals Rede eines deutschen Regierungschefs. Kanzler Schröder und Staatspräsident Chirac drängen auf gemeinsame EU-Eingreiftruppe
Paris (rtr/dpa) – Als erster deutscher Regierungschef hat Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern eine Rede vor der französischen Nationalversammlung gehalten. Eine Ehre, die selbst seinem Vorgänger Helmut Kohl trotz enger Freundschaft mit Staatschef Jacques Chirac nicht zuteil wurde. Schröder bekräftigte den Wunsch beider Nationen für den Ausbau der EU. „Europa zählt auf Deutschland und Frankreich“, sagte er vor den Abgeordneten und würdigte zugleich die privilegierten Beziehungen zwischen Paris und Berlin. Sowohl Chirac als auch Schröder waren darauf bedacht, zu zeigen, dass es keine Missstimmungen und schon gar keine Krise im deutsch-französischen Verhältnis gibt.
In der „Pariser Erklärung“ fordern Deutschland und Frankreich für den EU-Gipfel in Helsinki im Dezember entscheidende Fortschritte auf dem Weg zur Entwicklung des militärischen Pfeilers. Auf dem Treffen solle Klarheit über die Entscheidungsgremien und die militärischen Möglichkeiten für eine europäische Eingreiftruppe geschaffen werden. Als Keimzelle für die Eingreiftruppe gilt das Eurokorps. Spanien, Deutschland, Belgien, Frankreich und Luxemburg hatten sich bereits Anfang Juni darauf verständigt, das Korps im Rahmen der EU binnen eines Jahres in eine schnelle Eingreiftruppe umzuwandeln.
Auch der Tschetschenien-Konflikt kam auf dem deutsch-französischen Gipfel zur Sprache. Schröder und Chirac forderten von Russland, einen Besuch der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kriegsgebiet zuzulassen. Sie drückten ihr Bedauern darüber aus, dass der erste Besuch des Vorsitzenden der OSZE , Knut Vollebaek, in Moskau ohne Ergebnis verlaufen sei.
Schröder sicherte Frankreich zu, dass von Deutschland die bei der Wiederaufbereitung in La Hague angefallenen Nuklearabfälle zurück genommen werden. „Deutschland weiß, dass atomare Abfälle zurückgenommen werden müssen“, sagte er und äußerte zugleich Verständnis, dass Frankreichs Ministerpräsident Lionel Jospin einen klaren Termin für diese Maßnahme erwarte.
Weiter kritisierte Schröder während des Gipfeltreffens den britischen Widerstand gegen die geplante Steuerharmonisierung in der EU. Er könne die Haltung Großbritanniens nicht nachvollziehen. Wenn 14 EU-Mitgliedstaaten der Ansicht seien, dass die Steuervorschläge der Kommission angenommen werden sollten, müsse sich das 15. Land fragen, ob es sich durch seine Ablehnung in die Isolation begebe wolle, erklärte der Kanzler.
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