Edle Wilde, Künstler etc.
: Indianer in Dahlem

■ Das Museum für Völkerkunde hat seine Archive geöffnet

Das Wolfshemd spannt über dem Bierbauch, und der Zopf ist auch schon grau. Berliner Born-to-wild-Veteranen werden kaum weniger als die Kinder, die ihren Eltern voraus durch die Ausstellung im Museum für Völkerkunde stürmen, von einem romantischen Bild angezogen: „Indianer Nordamerikas. Vom Mythos zur Moderne“. Der edle Wilde lebt, und sei es als Öko-Heiliger und Widerstandskämpfer.

Dagegen setzt die Ausstellung in Dahlem einen didaktischen Prolog wider das Klischee und will die Vielfalt der Lebenswelten im Waldland, in den Prärien und der Arktis dokumentieren. Die Veranstalter geben sich alle Mühe, den eurozentrischen Blick zu durchbrechen: Ausführlich geht der Katalog auf Sammler und die Interessen der Indianer-Maler ein. Mit einer Website, 100 Filmen, einer Konferenz und Vorlesungen wird wissenschaftlicher Begleitschutz aufgeboten. Mit Lesungen amerikanischer Autoren, Gesprächen mit Meisterschnitzern und einer Segnungszeremonie zur Eröffnung versucht das Museum, die Perspektive der Native Americans“ heranzuholen.

Trotz der Sorgfalt der Informationen und der eng gedrängten ästhetischen Vielfalt gelingt es den Ethnologen nicht, ein Klischee zu brechen: das von der Zeit- und Geschichtslosigkeit der indianischen Welt. Im 19. Jahrhundert als Dokumente einer „sterbenden Rasse“ gesammelt, können die fragilen Exponate nicht mehr aus der Perspektive, eine Lebensweise im Moment ihrer Verdrängung und Überformung zu beschreiben, gelöst werden. Was Masken und die vielköpfige Familie der Kachina-Figuren von der Zeit vor der Vernichtung ihrer Kulturen überliefern, ist ein mythisch verschlüsseltes und ritualisiertes Wissen. Der Schritt, das „Andere“ von allen Projektionen zu befreien, kommt spät.

Lange war das Archiv der nordamerikanischen Ursprünge nur Wissenschaftlern zugänglich. Zwar wurden die ersten Zeugnisse der amerikanischen Ureinwohner vor fast 200 Jahren für die Königlichen Kunstkammern gekauft, seit dem Zweiten Weltkrieg aber nicht mehr ausgestellt. Erst jetzt hat man den Auszug der Skulpturengalerie genutzt, diese Abteilung wieder ins öffentliche Bewußtsein zu rücken.

Vor zwei Jahren reiste eine Delegation der Ältesten der Yup'ik-Eskimo aus Alaska nach Berlin, um sich im Depot in Dahlem Masken von Dämonen und Schamanen anzusehen. Dass sie die Wurzeln ihrer Kultur an einem „weit entfernten Ort auf der anderen Seite des Ozeans“ aufsuchen mussten, zeigt die Ambivalenz der musealen Bewahrung.

Viel verdankt die amerikanische Moderne den Mythen der alten Amerikaner. Auf ihre Spiritualität bezogen sich Maler wie Jackson Pollock, Mark Rothko und Barnett Newman. In der zeitgenössischen Kunst hat sich der ethnologische Blick vom Fremden, das nicht mehr vereinnahmt werden soll, inzwischen der Konstruktion des Eigenen zugewandt.

Wie eine Flaschenpost, die zu lange unterwegs war, treibt die Dahlemer Ausstellung an diesen Diskursinseln vorbei.

Katrin Bettina Müller