Der große genetische Kuhhandel von Seattle

■ Die EU steckt bei Gentechnik zurück, um USA für Agrarhilfen gnädig zu stimmen

Die Diskussion über Gentechnik wird von der UNO in die WTO verlagert. Genau dies hatte die EU bislang stets abgelehnt.

Die Europäische Union lehnt Verhandlungen über Biotechnologie und damit über den Handel mit gentechnisch veränderten Produkten („Gentechnical modified organisms“, abgekürzt GMO, siehe auch Kasten) im Rahmen der Welthandelsorgansition (WTO) nicht länger ab.

Bei der WTO-Ministerkonferenz in Seattle legten die EU-Minister am Mittwoch einen entsprechenden Entwurf für eine Abschlusserklärung vor. Darin gaben die 15 Handelsminister der Union der Forderung der USA, Kanadas und Japans nach, eine formelle GMO-Arbeitsgruppe für zukünftige WTO-Verhandlungen einzurichten. Das bedeutet eine Verlagerung der Diskussion um Gentechnik von der UNO in die WTO. Genau dies hatte die EU bislang stets abgelehnt. Sie bestand vielmehr darauf, über Gentechnik nur im Rahmen eines Zusatzprotokolls zur UNO-Konvention über die Sicherung der Artenvielfalt zu diskutieren.

Umwelt- und Entwicklungsorganisationen kritisierten den Beschluss der Europäischen Union. Auch die Umweltminister von Großbritannien, Frankreich, Dänemark, Italien und Belgien sprachen sich in Seattle in einer gemeinsamen Erklärung gegen den EU-Vorschlag aus.

Im Gegensatz dazu sagte der deutsche Wirtschaftminister Werner Müller (parteilos), er habe nichts dagegen einzuwenden, eine WTO-Arbeitsgruppe zur Biotechnologie zu gründen. Ein „Totschweigen“ dieses umstrittenen Themas könne der deutschen Biotech-Industrie auf ihrem Weg an die Weltspitze schaden.

Rainer Engels vom deutschen Forum für Umwelt und Entwicklung kritisierte, der EU-Entwurf sei ein Schritt in Richtung der Positionen der USA und der Cairns-Gruppe, in der die agrarexportierenden Entwicklungsländer vertreten sind. Greenpeace und Friends of the Earth warfen der EU vor, sie sei vor den USA in die Knie gegangen. Der Vorschlag einer Arbeitsgruppe für den Bereich Biotechnologie sei „absolut fatal für die Verbraucherinteressen in Europa und die Interessen der Entwicklungsländer“.

Mit dem Entgegenkommen beim Thema Biotechnologie zielt die Europäische Union offensichtlich darauf ab, die Vereinigten Staaten und Kanada ihrerseits zu Zugeständnissen zu bewegen. Vor allem in der Frage der EU-Agrarsubventionen und Exportbeihilfen liegen die Meinungen der Verantwortlichen in Brüssel und Washington noch weit auseinander. Unstimmigkeiten gibt es auch nach wie vor über die Tagesordnung für eine neue Verhandlungsrunde der WTO.

Mitglieder der EU-Delegation äußerten sich enttäuscht über eine Rede von US-Präsident Bill Clinton. Entgegen manchen Erwartungen habe er keine Bereitschaft gezeigt, auf die Vorschläge der Europäer für eine breitere Themenpalette einzugehen. Dies aber würde die Chancen auf Kompromisse sehr erhöhen.

Dafür hat Clinton überraschend dazu aufgerufen, die „Liberalisierung des Welthandels mit einer Verbesserung der Arbeitnehmerrechte zur verknüpfen“, was wiederum viele Entwicklungsländer verärgerte. Sanktionen gegen Staaten, in denen diese Rechte verletzt werden, fordere er aber nicht, betonte Clinton.

Tausende in Seattle demonstrierende Arbeiter sahen sich in ihrer Kritik bestätigt, die billigen Importe aus Entwicklungsländern seien das Ergebnis schwerer Ausbeutung. Die Vertreter der Entwicklungsländer argwöhnen jedoch, dass sich hinter Clintons edlen Absichten vielmehr der Versuch verberge, indirekte Handelhemmnisse zu errichten.

Andreas Zumach, Seattle/kk