BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Ich sage nur: Emanzipation

Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Es gibt tatsächlich etwas, das schlimmer ist als frustrierte Frauen

So sprachlos war ich lange nicht. Noch immer fehlen mir die Worte. Wieso? Ich sage nur: Emanzipation. Das ist kein Begriff, der mir auf der Zunge zergeht wie ein Stück Schokolade. Er klingt für mich so sperrig, dass ich ihn gar nicht erst in den Mund nehme. Das liegt auch daran, dass ich ohne Emanzipation aufgewachsen bin. Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. Dann bin ich eben ein Bauer.

Sitzpinkler gab es jedenfalls bei uns nicht. Wir waren froh, wenn es Klobrillen gab. Emanzipation im Osten hieß Gleichberechtigung. Der Grundstein dazu wurde 1950 von der Partei gelegt: „Auf der Grundlage der Gleichberechtigung ist den Frauen in erhöhtem Maße die Arbeit in der Industrie, im Transportwesen, in der Kommunalwirtschaft, im Handelswesen, in den Maschinenausleihstationen, der Volksbildung, des Gesundheitswesens und anderen Institutionen der Deutschen Demokratischen Republik zu ermöglichen.“

Dem Staat saß keine Emma im Nacken. Es waren ganz pragmatische Gründe und eine wahnwitzige Planwirtschaft, Frauen genauso schuften zu lassen wie Männer.

Deshalb wurden aus Frauen Dreher und Kranführer. 14 Jahre später wurde ich quasi in paradiesische Zustände hineingeboren. Als ich auf die Welt kam, verkündete die Vorsitzende der Frauenorganisation „Demokratischer Frauenbund Deutschlands“ bereits den Abschluss der Gleichberechtigungspolitik der Partei: „Mit Recht können wir also sagen: Wir Frauen haben unseren Arbeiter-und-Bauern-Staat mit geschaffen, wir gestalten das Leben seiner Bürger mit, wir haben ihn mit in unsere Hände genommen. Bei uns haben die Köchinnen gelernt, den Staat zu regieren!“ Köchin bin ich nicht geworden. Viele Köche verderben den Brei. Trotzdem hatte ich nie das Gefühl, nicht die gleichen Chancen wie Männer zu haben. Wenn es nicht so lief, wie ich mir das vorstellte, lag das daran, dass ich kein Parteimitglied war. Nicht aber, dass ich eine Frau war. So hätte ich mein unbeschwertes Frausein störungsfrei bis ans Ende meiner Tage genießen können. Und darüber hinaus natürlich. Wenn da nicht neulich diese Begegnung gewesen wäre.

Ich war mit einer Freundin nach dem Kino in einer Kneipe in Kreuzberg, wo wir uns an die Bar setzten. Unsere Mäntel legte ich auf einen der zwei freien Hocker links neben mir. Wir unterhielten uns angeregt über den spanischen Film „Princesas“, in dem die traurige Geschichte von zwei supersympathischen Prostituierten in Madrid erzählt wird. Als wir gerade an der Stelle waren, wo ein Mann eine der Frauen zwingt, ihm einen zu blasen, kamen zwei Männer an die Bar, so Anfang 40, mit Jeans, Pullover und Hemd. Normal. Unauffällig. Während der eine sich auf den freien Hocker setzte, blickte der andere vorwurfsvoll auf unsere Mäntel. Gesagt hat er nichts. Weil es nicht schwer ist, zu erraten, was Männer wollen, griff ich zu unserer Garderobe. „Klar“, sagte ich. „Sind Sie vielleicht so nett und hängen sie auf?“

Der Typ schaute mich an, als hätte ich lila Latzhosen am Leib, in denen ich eine Schnippschnappschere versteckt haben könnte. Seine Lippen formten einen schmalen Strich. Er schüttelte den Kopf. Ich hatte verstanden. Ich sollte die Mäntel gefälligst selber aufhängen oder sie mir sonst wohin stecken. Ich schwankte zwischen Fassungslosigkeit und Belustigung. Entsetzt-beschwingt stand ich auf und hängte die Mäntel an die in zwei Meter Höhe angebrachten Haken. Da traf mich von hinten ein Satz wie eine feige Kugel aus dem Hinterhalt. „Für irgendwas muss Emanzipation ja gut sein.“

Für irgendwas muss Emanzipation ja gut sein! Was soll man dazu sagen? Der Typ tat mir plötzlich unsäglich leid. Fast hätte ich gesagt „Du Opfer“. Opfer der Emanzipation. Jeder normale Mann hätte gesagt: „Aber gerne, junge Frau, wenn Sie ihre Bluse ausziehen, hänge ich die auch noch auf.“ Oder wenigstens so etwas wie: „Tut mir leid. Ich bin zu klein und komme nicht an den Haken“.

Bis vor kurzem dachte ich, es gäbe nichts Schlimmeres als frustrierte Frauen. Das stimmt nicht. Schlimmer als frustrierte Frauen sind frustrierte Männer.

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