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25 Tote bei neuen Unruhen in Gaza

Ein Jahr nach dem Wahlsieg der islamistischen Hamas kommt es zu den bisher schwersten innerpalästinensischen Kämpfen. Vermittler bemühen sich um den Austausch von Entführten. Die Gespräche über eine Einheitsregierung werden ausgesetzt

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

25 Tote sind die Bilanz erneuter Straßenkämpfe im Gaza-Streifen am Wochenende. In den palästinensischen Medien taucht immer häufiger das Wort Bürgerkrieg auf.

Zwar halten führende Parteifunktionäre beider palästinensischen Fraktionen noch immer daran fest, dass die blutigen Auseinandersetzungen im Gaza-Streifen das Werk „von hirnlosen Banden“ sei, so etwa Dschibril Radschub (Fatah), ehemals nationaler Sicherheitsberater.

Angesichts der jüngsten Entwicklungen erscheint die offizielle Version als eine Verdrehung der Realität. Manche der Todesopfer wurden gezielt hingerichtet, andere hatten einfach nur Pech, wie der dreijährige Jachijeh Abu Bakra, der von einer Salve von Gewehrkugeln getötet wurde. Fatah-Aktivisten hatten es auf Jachijehs Vater abgesehen.

Im Gaza-Streifen blieben gestern die Schulen und Universitäten geschlossen. Umfragen zufolge fühlen sich knapp 90 Prozent der Palästinenser nicht mehr sicher. Kaum eine Woche ist vergangen, seit sich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der in Damaskus ansässige Chef des Politbüros der islamistischen Hamas, Chaled Meschal, gegenseitig versprachen, die Verhandlungen über eine Regierung der nationalen Einheit wiederaufzunehmen und dem Blutvergießen Einhalt zu bieten.

Die Kämpfe setzten dem gearde wiederbegonnenen Dialog ein rasches Ende. Abbas drohte erneut, vorgezogene Neuwahlen einzuleiten, sollten Hamas und Fatah innerhalb von drei Wochen keine Einigung erreichen. Ungeachtet der neuen Gewalt setzte Abbas am Wochenende seine Europareise fort.

Während die offizielle Hamas-Sondertruppe unter dem Kommando des Innenministers steht, hört der militärische Flügel der Hamas nur auf das Kommando aus Damaskus. Premierminister Ismail Hanijeh (Hamas) hält sich weitgehend aus den militärischen Konfrontationen heraus. Und Meschal lässt sich Zeit, den ihm loyalen Truppen Befehl zum Feuereinstellen zu erteilen. Bei der Fatah gilt der frühere Chef des „präventiven Sicherheitsdienstes“ im Gaza-Streifen, Mohammed Dahlan, als inoffizieller Kommandant. Dahlan wird als künftiger Palästinenserpräsident gehandelt. Auch Dahlans Macht endet, wo die Kämpfe von Fatah-Aktivisten ohne Uniform ausgetragen werden. Die jüngste Eskalation begann in der Nacht zum Freitag, als ein Mitglied der Hamas-Sondertruppe bei einem Attentat ums Leben kam, für das vermutlich Mitglieder der Fatah-nahen Al-Aqsa-Brigaden verantwortlich waren.

Kurze Zeit später umstellte ein Kommando der Hamas-Sondertruppe das Haus des politischen Fatah-Aktivisten Masur al-Schalajel. Dahlan berief umgehend die Fatah-Kommandanten der Sicherheitskräfte zu sich und schickte sie zur Rettung al-Schalajels. In der Vergangenheit waren Hamas-Aktivisten ähnlich vorgegangen und hatten, ohne Rücksicht auf Familienangehörige, die Privathäuser eines politischen Gegners mit Granaten, Raketen und Gewehrbeschuss angegriffen. Die Schlacht vor dem Haus von al-Shalajel konnte die Fatah für sich entscheiden. Sieben Hamas-Soldaten wurden getötet, zehn weitere verhaftet, während al-Shalajel und seine Familie unverletzt blieben.

Die Hamas-Kämpfer gehen immer skrupelloser vor. Als ein verletzter Kämpfer der Al-Aqsa-Brigaden in einem Krankenwagen evakuiert wurde, stoppten Hamas-Aktivisten das Auto und töteten den Verletzten durch einen Kopfschuss. Neutrale Vermittler bemühen sich unterdessen um den Austausch von entführten Aktivisten. Die Fatah hält seit dem Wochenende 23 Hamas-Mitglieder in ihrer Gewalt, Hamas 16 Mitglieder der Fatah.

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