: Sprithunger der USA macht Tortillas teuer
Mexiko spürt die Auswirkungen des Bioäthanol-Booms. Weil die Vereinigten Staaten ihren Mais für die Autofahrer brauchen, kostet das Brot der Armen immer mehr. Gewerkschaften und Bauern fordern staatliche Intervention
MEXIKO-STADT taz ■ Sie ersetzt den Teller sowie das Besteck und ist das wichtigste Grundnahrungsmittel Mexikos: die Tortilla. Nachdem der Preis der dünnen Maisfladen in den letzten Wochen um über ein Drittel in die Höhe schnellte, ist das „Vitamin T“ für die arme Bevölkerung fast zum Luxusartikel geworden. Grund: die steigende Produktion von Sprit aus Mais in den USA. Gewerkschafter, Bauernverbände und Linke fordern nun staatliche regulative Maßnahmen. Sie haben für Mittwoch zu einer Demonstration aufgerufen.
Die Maisfladen fehlen praktisch bei keinem Essen. Jeden Tag verspeisen die 105 Millionen Mexikaner rund 300 Millionen Tortillas. Vor allem bei den Armen muss das „mexikanische Brot“ oft fehlendes Fleisch oder andere teure Lebensmittel ersetzen. Ein Kilo gehört für viele Familien zum täglichen Verbrauch.
Die Konsequenzen der hohen Preise seien also schwerwiegend, rechnet Ifigenia Martínez von der oppositionellen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) vor: „Während der Kilopreis der Tortilla von 6 auf 10 Pesos (70 Eurocent) gestiegen ist, wurde der Mindestlohn, von dem mehr als ein Drittel der Bevölkerung leben muss, nur um 3,7 Prozent auf 50 Pesos erhöht.“
Wirtschaftsminister Eduardo Sojo macht den hohen Maispreis auf dem internationalen Markt für die teuren Tortillas verantwortlich. Im letzten Jahr hat sich dieser verdoppelt. Der Grund: Das Korn ist knapp geworden, da der Hauptexporteur USA zunehmend mehr Mais für die Produktion von Bioäthanol nutzt. Wurden 1995 noch 10 Millionen Tonnen für die Brennstoffherstellung verwandt, so sind es inzwischen knapp 60 Millionen Tonnen. Tendenz steigend.
In Mexiko hat die Tortillakrise einmal mehr die Abhängigkeit vom Nachbarn im Norden deutlich gemacht. Einst unabhängig von Importen, kauft das Land mittlerweile fast die Hälfte des konsumierten Maises in den USA: 17,7 Millionen von 39 Millionen Tonnen. Durch den Freihandelsvertrag Nafta zwischen den USA, Kanada und Mexiko von 1994 sind die Einfuhrkosten so tief gefallen, dass US-Billigmais zunächst den mexikanischen Markt überschwemmt hat.
Große Teile der kleinbäuerlichen Produktion wurden zerstört, da die Campesinos nicht gegen die hochsubventionierten Waren konkurrieren konnten. Bauernverbände fordern nun Hilfsmaßnahmen für kleine Agrarproduzenten. Zudem müsse der Tortillapreis wie früher staatlich gestützt werden.
Als ausgesprochener Wirtschaftsliberaler lehnt Präsident Calderón solche marktregulierenden Instrumentarien ab. Dennoch hat er sich vor wenigen Tagen mit Händlern und Produzenten auf eine Preisgrenze von 8,5 Pesos pro Kilo Tortilla geeinigt. An diese Vorgabe hält sich bislang jedoch nur ein Teil der Anbieter. Zudem hat der Staatschef angeordnet, 450.000 Tonnen Mais aus den USA sowie 200.000 ohne Länderbindung zollfrei einzuführen. „Eine sinnlose Feuerwehrpolitik“, reagiert Ana de Ita vom Zentrum für ländliche Studien Ceccam. „Man versucht, ein Problem mit neoliberalen Mittel zu lindern, das durch die neoliberale Politik erst entstanden ist.“
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