: Angefangen haben immer die anderen
AUS BEIRUT KARIM EL-GAWHARY
Geradezu suspekt, wie oft die Libanesen dieser Tage Gott heranziehen, um einem Bürgerkrieg zu verhindern. „Inschallah, so Gott will, wird es keinen geben“, lautet die in Beirut meistgebrauchte Formel zu diesem Thema, gefolgt von einem längeren Zögern und dem abschließenden Hinweis, dass in einem Bürgerkrieg schließlich alle Verlierer seien. Das wisse man ja aus eigener leidvoller Erfahrung.
Auch Mohammed Banuti versucht, sich auf diese Weise selbst zu beschwichtigen. Der alte Mann mit seinem zerfurchten Gesicht, der Baskenmütze und dem Gehstock ist heute erstmals zurück an seinen Arbeitsplatz gekommen. Am Donnerstag letzter Woche war genau vor seinem kleinen Kramladen im Westen Beiruts in der Arabischen Universität ein Streit zwischen Regierungsanhängern und Oppositionellen außer Kontrolle geraten. Sunnitische Jugendliche und Anhänger des sunnitischen Chefs des Regierungsbündnisses Saad Hariri sowie ihre schiitischen Altersgenossen aus den Reihen der Hisbollah lieferten sich anschließend stundenlange Gefechte mit Knüppeln, Steinen, sogar mit Schusswaffen. Am Ende konnte die Armee die Lage nur durch eine nächtliche Ausgangsperre unter Kontrolle bringen. Eine Handvoll auf den umliegenden Dächern postierte Scharfschützen und die flugs von selbsternannten Milizen aufgebauten Straßensperren weckten ungute Erinnerungen an den 16 Jahre dauernden blutigen libanesischen Bürgerkrieg.
Mindestens sechs Menschen sind letzte Woche hier bei Auseinandersetzungen zwischen der vom Westen unterstützten Regierung Fuad Sinioras und dem von der Hisbollah angeführten Oppositionsbündnis gestorben. „Das war schlimmer als der Krieg mit Israel im Sommer“, meint Banuti. „Gott möge uns Verstand schicken und das nicht noch weiter eskalieren lassen“, fleht er. Die Libanesen seien wie ein altes Ehepaar – man streite sich, aber wegen der Kinder und der gegenseitigen Verantwortung raufe man sich am Ende doch immer wieder zusammen.
Ein paar Straßenzüge weiter liegt Beiruts Sport City, das große Stadion der Stadt. Hier sieht man noch ein paar Überreste des letzten Familienstreits: Dutzende ausgebrannte Autowracks werden nacheinander abtransportiert. Gerade kommt der Straßenkehrer Basil Raihan und fegt den Rest aus Scherben, verbranntem Gummi und geschmolzenem Plastik zusammen. „Uns steht nichts Gutes bevor“, lautet seine düstere Prophezeiung, „vielleicht kehre ich hier demnächst nicht die Reste von Autos, sondern von Menschen zusammen.“
Basil gibt wenig auf die Worte der Politiker, die dieser Tage allesamt die Straßenschlachten in den Medien verurteilt haben und zur Ruhe mahnen. Hassan Nasrallah etwa, der Generalsekretär der Hisbollah, hat alle Libanesen – insbesondere jene, die in den letzten Tagen Familienmitglieder verloren haben – aufgefordert, von Racheakten abzusehen.
Für seine Argumentation spielte er wieder einmal seine beiden wichtigsten Karten aus: Gott und Israel. „Wir müssen den Libanon vor dem israelischen Plan schützen, uns gegenseitig zu bekämpfen“, ließ er verlauten und erklärte, jede spontane Straßenaktion sei ab sofort aus religiösen Gründen verboten. „Wir werden am Tag des Jüngsten Gerichts vor Gott Rechenschaft ablegen müssen, und wir haben jetzt die Verantwortung, uns selbst unter Kontrolle zu halten“, warnte er seine Parteigänger.
Auch Nasrallahs politischer Gegner, der libanesische Premier Fuad Siniora, hat alle Bürger aufgerufen, eine friedliche Lösung für den derzeitigen Konflikt zu suchen. „Die Alternative dazu ist einfach zu beängstigend“, sagte er.
In der Boss Cafeteria gegenüber dem Stadion scheinen all die mahnenden Worte noch niemanden erreicht zu haben. Auf den Plastikstühlen wartet ein Dutzend Jugendlicher auf ihren nächsten Einsatz. Auf die Frage, wer denn hier der Boss sei, zückt einer von ihnen einen Schlüsselanhänger mit dem Foto Saad Hariris. Die Sprache der Jugendlichen klingt ganz anders als die der Politiker des Landes. „Die anderen sind schuld“, meint der 26-jährige Mohammed. In seinem verwaschenen grünen Parka sitzt er direkt vor der neuen italienischen Kaffeemaschine. „Die Hisbollah-Jungs sind in unser Viertel gestürmt und haben Ärger gemacht“, erzählt er. „Wir mussten einfach unsere Straße verteidigen. Das ist doch klar.“ Die anderen nicken zustimmend. An Mohammeds Mundwinkel zeugt eine frische Narbe von seinem persönlichen Einsatz.
Plötzlich bricht Hektik aus im Café. Ein libanesischer Kameramann kommt mit geschultertem Arbeitswerkzeug die Straße herunter. „Ist der etwa von Manar-TV?“, fragt ein junger Mann in schwarzem Rollkragenpullover und sauber getrimmtem Bart. Er schickt mehrere seiner Jungs los, um zu überprüfen, ob der Kameramann für den gegnerischen Hisbollah-eigenen Sender al-Manar arbeitet. „So einen wollen wir hier in unserem Viertel nicht“, erklärt er, als seine ausgeschwärmten Mitkämpfer beruhigt zurückkehren. Der Kameramann arbeitet für einen regierungsnahen Sender.
„Die anderen wollen einen Bürgerkrieg provozieren“, nimmt Mohammeds Nachbar Khaled das Gespräch wieder auf. Er sieht etwas übernächtigt aus. Während der Straßenschlachten letzte Woche wurde er vom Militär festgenommen, erst heute Morgen ist er freigelassen worden. „Das wird hier noch enden wie im Irak. Aber wir sind vorbereitet“, sagt er. Worin diese Vorbereitungen bestehen, darüber schweigt er sich aus.
Zehn Minuten Autofahrt von der Boss Cafeteria entfernt, im hauptsächlich von Schiiten bewohnten Viertel Sukak al-Bilad, liegt der kleine Herrenfriseursalon „Hassan“. Es ist ein Platz zum Abhängen für schiitische Jugendliche und die Hisbollah-Parteigänger. Draußen parken Dutzende Mopeds, drinnen lässt sich Mazen gerade die über der Stirn hochgedrehten Locken föhnen. Sein deftig blaues Auge vom letztwöchigen Einsatz passt nicht so ganz zu seiner schicken Frisur.
„Die anderen sind schuld, sie provozieren einen Bürgerkrieg“, beginnt er das Gespräch bei laufendem Föhn. Er und seine Freunde hätten letzte Woche ein paar SMS erhalten: Eine Gruppe schiitischer Studenten werde von sunnitischen Anhängern Hariris in der Arabischen Universität festgehalten. Dann kam auch noch ein Anruf, dass einer schiitischen Studentin das Tuch vom Kopf gezogen worden sein soll. Der Rest war eine Frage der Ehre.
Auf Kleinlastwagen machten sie sich mit Schlagstöcken und Motorradhelmen auf den Weg ins sunnitische Feindesland. „Wir haben nur ein paar Müllcontainer und Autos angezündet“, lautet Mazens Version. „Die haben mit den Schusswaffen und den Scharfschützen angefangen. Dabei könnten wir sie sofort fertigmachen, schließlich hat unsere Hisbollah Raketen bis nach Haifa geschossen“, sagt er stolz. „Aber wir wollen unsere Waffen nicht im Innern benutzen. Nur wenn man uns angreift, werden wir reagieren. Wir sind bereit“, verkündet er.
In Beirut herrscht eine gespannte Atmosphäre wie am Vorabend eines Bürgerkrieges. Die Regierung hat sich politisch genauso eingegraben wie die Opposition. Argwöhnisch wird jeder Schritt des anderen beobachtet. Die letzte Woche hat gezeigt, wie gefährlich es ist, in diesem politischen Wettstreit die Straße zu mobilisieren. Reden die Politiker noch davon, einen Bürgerkrieg verhindern zu wollen, bereitet sich die Straße längst darauf vor. Kaum ein Libanese glaubt daran, dass sich die Probleme des vollkommen paralysierten, politisch zweigeteilten Landes einfach lösen lassen.
Als Mazen seine neue Frisur zufrieden im Spiegel betrachtet, zitiert er dazu ein arabisches Sprichwort: „Wenn du das Problem nicht größer machst, wird es nicht kleiner.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen