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Gerecht und stark

AUS PARIS ROBERT BALMER

Die „Ségomania“, die Welle der Begeisterung für Ségolène Royal, ist in den letzten Wochen spürbar abgeflacht, die sozialistische Präsidentschaftskandidatin muss nun zu einer Aufholjagd ansetzen. Gestern enthüllte sie ein 100-Punkte-Programm mit den Schwerpunkten Solidarität, Erziehung, Umwelt. Frankreich sei „stärker, wenn es gerechter wird“, lautete das Motto ihrer Rede vor rund 15.000 Anhängern in Villepinte im Norden von Paris. Konkret verspricht sie die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns um 50 Prozent auf 1.500 Euro sowie die Verbesserung der Altersrenten.

Der feste Arbeitsvertrag müsse wieder die Regel werden, die Ausbildung der Jungen solle mit zinslosen Krediten und ihr Start ins Berufsleben durch die Garantie „eine Anstellung oder ein Weiterbildungsplatz“ gefördert werden, so Royal gestern. Kein Studienabgänger solle länger als sechs Monate ohne Beschäftigung bleiben. Dazu könnten 500.000 sogenannte Trampolinstellen dienen, die den Sprung ins Berufsleben erleichtern. Nichts habe sich in den Vorstädten, den „Banlieues“, seit den Krawallen von 2005 geändert, weder die Gewalt noch die Diskriminierung der Jungen. Sie werde als Präsidentin darüber wachen, dass alle Kinder der Nation gleichermaßen respektiert werden. Das sei ihr ein tiefempfundenes Anliegen und das verspreche sie als Mutter, sagte sie sichtlich bewegt.

Zu Beginn ihrer Rede zeichnete Ségolène Royal ein düsteres Bild der Lage, in der sich die Nation nach fünf Jahren Rechtsregierung befinde: eine öffentliche Verschuldung, die auf 18.000 Euro pro Einwohner angestiegen ist, stagnierende Investitionen, sinkende Kaufkraft, 7 Millionen Arme, die mir weniger als 700 Euro im Monat auskommen müssen, 2 Millionen, die auf Nahrungshilfe angewiesen sind.

Um aus dieser Situation herauszukommen, setzt die Kandidatin auf Innovation und Forschung, auf die Jugend und die Regionalisierung des Staates. Diese Regionen sollen an Stelle des Zentralstaates für den Bau und die Verwaltung der Universitäten und die Wirtschaftsförderung zuständig werden, wobei die finanzielle Unterstützung von Unternehmen vom Grad ihrer Innovation und ihrer Beschäftigungspolitik abhängen soll. In der Steuerpolitik sollen die Vermögenden stärker als die Erwerbstätigen belastet werden. Geprüft wird sogar die Möglichkeit, von begüterten Franzosen, die sich in ein ausländisches Steuerparadies abgesetzt haben, eine Art patriotische Kopfsteuer zu verlangen.

Wie erwartet haben die Rechte der Frauen in Royals Programm Priorität. Das erste Gesetz, das sie nach ihrer Wahl verabschieden möchte, soll die Gewalt gegen Frauen bekämpfen.

In Anspielung auf ihren rechten Rivalen Nicolas Sarkozy, der seinen Wählern sagt, mit ihm werde „alles möglich“, erklärte Royal, sie gebe nur Versprechen, die sie als Präsidentin dann auch halten könne. Darum unterbreite sie ihre Vorschläge in Form eines Ehrenpakts mit 100 Punkten, auf die sie sich verpflichte. Ihre Inspirationen fand sie nicht nur im Programm der französischen Sozialisten und europäischen Schwesterparteien, sondern auch in den 6.000 Forumsdebatten, die sie seit Monaten überall in Frankreich veranstaltet hatte. Mit diesem Konzept der „partizipativen Demokratie“ wollte sie zeigen, dass sie es verstehe, ihren unzufriedenen Landsleuten zuzuhören.

In den letzte Wochen war allerdings der Eindruck entstanden, dass sie vor lauter Hinhören ganz vergessen hatte, selber Ideen zu entwickeln und Vorschläge zu machen. Dem widersprach sie gestern sehr resolut mit einem sehr ausführlichen Programm. In Villepinte zeigte sich Royal überzeugt, dass eine „solidarische, gerechtere Gesellschaft“ möglich ist. Ob ihr damit die Trendwende gelang, wird sich erst in einigen Tagen erweisen. Ihr Lebensgefährte, der sozialistische Parteichef, meinte optimistisch: „Jetzt hat unser Wahlkampf begonnen!“

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