Liebesgrüße aus den Anden

Aus Facatativá Frank Herrmann

Ein frischer, kühler Wind weht über das Hochtal von Bogotá. Im Gewächshaus 13 von Colibri Flowers hingegen ist es schwülwarm und stickig. Dennoch trägt Aida Patiño langärmelige Schutzkleidung und eine rote Baseballkappe, die sie vor der starken Sonneneinstrahlung auf 2.600 Meter Höhe schützen soll. Wie an jedem Werktag schneidet die 35-Jährige Nelken mit einem scharfen Messer. Rote, gelbe, weiße, orange, cremefarbene, violette. Rund 350 Stück pro Stunde.

Überall auf der Blumenfarm herrscht hektische Betriebsamkeit. Hände in schwarzen Gummihandschuhen klassifizieren die Nelken, weiße Bauwollhandschuhe übernehmen die Qualitätskontrolle, und gelbe Arbeitshandschuhe verpacken die Blumen für den Export. Aus Lautsprechern dudelt Salsamusik. Alles muss schnell gehen. Schnittblumen sind schnell verderbliche Ware.

Colibri Flowers, unweit der Kleinstadt Facatativá und nur rund eine Autostunde nordwestlich von Bogotá gelegen, ist ein Vorzeigeunternehmen des kolumbianischen Schnittblumenverbands Asocolflores. Dorthin schickt die Unternehmervereinigung ihre Besucher am liebsten. Denn auf der Plantage mit rund 600 Angestellten, die im November 2006 auf der Blumenmesse Hortifair in Amsterdam den Preis als weltweit bester Blumenzüchter erhielt, ist die Arbeitswelt vergleichsweise in Ordnung: Monatsgehälter über dem staatlichen Mindestlohn, Langzeitarbeitsverträge, günstige Hausbauprogramme, gute sanitäre Anlagen, kostenloser Transport zur Arbeitsstätte und Fairhandelsprämien – in den Augen der ungelernter Arbeitskräfte sind es Traumjobs, die Colibri Flowers bietet.

„Unsere Arbeiter sind unser wichtigstes Kapital, wir bemühen uns, gerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen“, sagt Maria Fernanda Rojas, im Unternehmen zuständig für interne Produktionsabläufe. So fair wie bei Colibri Flowers geht es allerdings nur selten zu auf Kolumbiens Blumenplantagen. Vielerorts werden Arbeiter schikaniert, mies bezahlt und daran gehindert, sich zu organisieren. Denn etwas fürchten kolumbianische Schnittblumenpflanzer mehr als unzufriedene Kunden, Pflanzenschäden durch Pilzbefall oder den leibhaftigen Teufel: eine Gewerkschaft auf ihrem Firmengelände. So modern sich Kolumbiens Schnittblumenindustrie gerne nach außen gibt: Was Arbeitnehmervertretung betrifft, herrschen nach wie vor mittelalterliche Zustände.

Mit Gegenmaßnahmen sind die Unternehmer nicht eben zimperlich: Arbeiter des Blumenproduzenten Elite Flowers etwa wurden zu einem Lügendetektortest außerhalb des Firmengeländes gezwungen, um zu überprüfen, ob sie einer Gewerkschaft angehören. Einem Arbeiter der Blumenfarm Pardo Carrizosa Navas gelang es nicht, eine Arbeitnehmervertretung auf seiner Plantage zu etablieren, obwohl die mehrfach vorgelegte Satzung mit Entwürfen geduldeter Gewerkschaften auf anderen Plantagen identisch war. Hilda Granados*, die Präsidentin der Gewerkschaft Untraflores, wurde systematisch von der Geschäftsführung ihrer Plantage Benilda schikaniert: „Ich musste, statt Blumen zu ernten, mehrere Monate lang acht Stunden täglich Kartoffeln für die Kantine schälen.“

Als Blumenland ist Kolumbien wohl den wenigsten ein Begriff. Doch obwohl der Andenstaat es meist nur als Kokainlieferant und dank seines ewigen Bürgerkriegs in die internationalen Schlagzeilen schafft: Kolumbien ist nach Holland der zweitgrößte Blumenexporteur der Welt. Rund 14 Prozent aller Schnittblumen werden in den Anden produziert. Und das fast ausschließlich auf der fruchtbaren Sabana de Bogotá, einer riesigen Hochlandebene mit ebenen Böden, gleichbleibenden Temperaturen, viel Sonne, ausreichend Wasser und Nähe zum internationalen Flughafen von Bogotá. Das sind ideale Bedingungen für den ganzjährigen Pflanzenanbau.

Seit ihren Anfängen in den Sechzigerjahren wächst die kolumbianische Schnittblumenindustrie kontinuierlich. Doch die Zeiten sind rauer geworden. Besonders an die Chinesen haben die Südamerikaner in den letzten Jahren Marktanteile abgeben müssen. Hinzu kommen hohe Exportkosten, denn der US-Dollar hat in den letzten Jahren gegenüber dem kolumbianischen Peso ständig an Wert verloren.

Auch die hohen Produktionskosten machen den Blumenpflanzern zu schaffen. Blumenanbau ist Handarbeit, nur zum Verpacken werden Maschinen eingesetzt. Rund die Hälfte der Produktionskosten sind daher Lohnkosten. Um Geld zu sparen, tricksen viele Unternehmer an den Sozialleistungen herum, engagieren Arbeiter über dubiose Zeitarbeitsfirmen oder stellen auch schon mal Minderjährige ein.

Angesichts dieser Zustände erscheinen vielen Unternehmern die Verheißungen des Fairen Handels wie der Silberstreifen am Horizont: International zertifizierte Schnittblumen, die faire Produktions- und Arbeitsbedingungen garantieren, gekauft von sensiblen Verbrauchern, die bereit sind, für ein „sauberes“ Produkt tiefer in die Tasche zu greifen, sollen aus der Misere helfen. Doch die Gütesiegel sind durchaus umstritten. So wird beispielsweise das einheimische Emblem „Flor Verde“ international wenig akzeptiert, da es vom Unternehmerverband Asocolflores ins Leben gerufen worden ist. Zudem gehören ihm nur 136 von ca. 600 Unternehmen der Schnittblumenindustrie an.

Ein Schwachpunkt der internationalen Zertifzierer wie Max Havelaar, Flower Label Program (FLP) oder Fairtrade Labelling Organisation (FLO) ist, dass Kontrollen nur selten stattfinden und zudem in der Regel vorher angekündigt werden. So haben die Unternehmer reichlich Zeit, sich auf die Inspektionen vorzubereiten. Dann werden die Kontrolllisten für Chemikalien aktualisiert, die Toiletten gereinigt und wird auch schon mal die Belegschaft auf die bevorstehenden Fragen der Inspektoren vorbereitet. Wer nicht mitspielt, riskiert seinen Job.

Trotzdem ist es „in“, sich zertifizieren zu lassen. Bei Colibri Flowers ist man sicher, damit auf dem richtigen Weg zu sein. Die „Fairtrade“-Siegel der Blumenfarm sind in großen Buchstaben auf die Wand eines Gewächshauses am Eingang aufgepinselt, deutlich sichtbar für jeden, der die Anlage betritt. „Besonders in der Krise, in der sich die kolumbianische Blumenindustrie befindet, zeichnet sich Fairtrade als zunehmend wichtigeres Nischenprodukt ab“, erläutert Andrés Escobar, stellvertretender Geschäftsführer bei Colibri Flowers. Allerdings hält sich der Absatz von Fairtrade-Blumen bislang in Grenzen. Die Schweiz etwa nahm Colibri Flowers 2006 zertifizierte Blumen im Wert von 141.000 US-Dollar ab – nur rund 1 Prozent des Jahresumsatzes der Plantage.

Immerhin ist ein Anfang gemacht. Auch wenn die Zertifizierung teuer und der Umsatz bislang gering ist: Der Trend geht eindeutig in Richtung Fairer Handel. Für Juan Carlos Isaza, zuständig für das Flor-Verde-Programm des Unternehmerverbands Asocolflores, steht fest: „Wer nicht zertifizieren lässt, verschwindet langfristig vom Markt.“ Immerhin durften sich die Arbeiter von Colibri Flowers 2006 über Fairhandelsprämien in Höhe von 16.800 US-Dollar freuen. Sie bestimmen selbst, was mit den Geldern geschieht. Zunächst wurden Fortbildungsmaßnahmen finanziert. Geplant sind eine kleine Bibliothek mit Computern und ein Minisupermarkt für die Belegschaft.

Allerdings wiegt der Erfolg der Gütesiegel die Arbeitnehmer auch oft in trügerischer Sicherheit. So haben die ArbeiterInnen bei Colibri Flowers bislang auf die Gründung einer Gewerkschaft verzichtet. Die vorhandene, frei gewählte Arbeitervertretung ist lediglich in Problemfällen Ansprechpartner der Geschäftsleitung. Das reicht Gewerkschaftsführerin Hilda bei weitem nicht, um Auswüchse gegen Arbeiter zu verhindern: „Gewerkschaften sind in jeder Blumenplantage wichtig, sollten die Zertifizierungen einmal wegfallen.“ Sie fordert zudem intensivere Kontrollen durch die Siegelvergeber und Besuche der Inspektoren ohne vorherige Ankündigung.

Aida Patiño dagegen, Mitglied der Arbeitervertretung bei Colibri Flowers, will von Gewerkschaften nichts wissen. Sie weiß ihren Langzeitvertrag in Zeiten starker Personalrotation zu schätzen – trotz mageren Gehalts und 46-Stunden-Woche. Die Betriebsrätin sieht ihre Zukunft realistisch, ihre Träume sind bescheiden: „Ich würde gerne eines Tages das Abitur nachmachen, um Agrotechnikerin zu werden. Ach ja, und Arbeitsschuhe aus Leder statt Gummistiefel wären auch nicht schlecht.“

*Name geändert