: Die Luft wird dünn
Vor zwei Jahren trat das Kioto-Protokoll in Kraft. Doch noch immer hinkt Deutschland seinen Klimaschutz-Zielen hinterher. Es setzt damit seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel
Mit dem Kioto-Protokoll, das heute vor zwei Jahren in Kraft trat, haben sich die Industriestaaten verpflichtet, zwischen 2008 und 2012 den Ausstoß von sechs Treibhausgasen im Durchschnitt um etwas mehr als 5 Prozent zu reduzieren. Deutschland hat zugesagt, seine Emissionen im Vergleich zu 1990 um 21 Prozent zu mindern; insgesamt muss die EU diese um 8 Prozent reduzieren. Inzwischen haben über 70 Staaten das Kioto-Protokoll ratifiziert – darunter Japan, Indien, China und Russland.
Seit Beginn der Industrialisierung hat sich die Atmosphäre um 0,8 Grad erwärmt. Selbst wenn heute alle Treibhausgasemissionen sofort gestoppt werden würden, wird sie sich in den kommenden 20 Jahren noch um mindestens weitere 0,6 Grad erwärmen. Wird nichts getan, könnten es sogar 4,5 Grad werden. Das wiederum bedeutet einen Anstieg des Meeresspiegels um etwa einen halben Meter oder mehr. In den nördlichen Breiten würden die Niederschläge heftiger; gleichzeitig käme es in anderen Regionen der Erde häufiger zu Dürreperioden.
Bereits auf dem letzten Weltklimagipfel in Montreal, als es um ein Nachfolgeabkommen zum Kioto-Vertrag ging, nannte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan die Klimaveränderung eine allumfassende weltweite Bedrohung. Doch die Warnung half nichts: Noch immer ist kein „Kioto-plus-Abkommen“ in Sicht.
Nachdem Anfang dieses Monats die Erkenntnisse des International Panel on Climate Change (IPCC) über das ganze Ausmaß der bevorstehenden Klimaveränderung publik wurden, rief Frankreichs Präsident Jacques Chirac umgehend zu größeren Anstrengungen beim Schutz der Atmosphäre auf. Chirac plädierte dabei für eine Reform der UN-Umweltorganisation (Unep), um diese zu stärken; Unterstützung erhielt er dabei von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Diese positive Initiative darf jedoch nicht davon ablenken, dass es bereits ein gutes internationales Instrument für den Klimaschutz gibt, das konsequent weiterentwickelt werden muss: das Kioto-Protokoll.
Die bisher erreichten Verminderungen der Klimagase reichen jedoch leider noch nicht aus. Beim CO2 hat die EU bisher nicht einmal 3 Prozent geschafft, in der Summe aller Treibhausgase muss sie sogar deren Zunahme einräumen. Nennenswerte Treibhausgasreduktionen weisen lediglich die osteuropäischen Transformationsländer, Deutschland und Großbritannien auf. Mit minus 19 Prozent hat Deutschland dabei sogar die Nase vorn. Ein großer Teil davon ist allerdings dem Zusammenbruch der DDR-Industrie geschuldet. In den letzten Jahren hat sich der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland dagegen nicht mehr verringert.
Dass sich die großen Emittenten USA und Australien bisher nicht zum Kioto-Prozess bekannt haben, ist bedauerlich. Ohne die USA, die ein Viertel der Treibhausgase der Welt verantworten, wird es unmöglich sein, andere zögernde Industriestaaten einzubeziehen oder die Entwicklungsländer davon zu überzeugen, die Begrenzung ihres Treibhausgasausstoßes zu akzeptieren. Innenpolitisch sieht sich Präsident George W. Bush einer Reihe von Gouverneuren und Bürgermeistern gegenüber, die sich den Kioto-Zielen anschließen und ambitionierte Energiesparprogramme umsetzen; zehn Bundesstaaten arbeiten bereits an einem gemeinsamen Emissionshandelssystem.
Aber auch außenpolitisch werden dem US-Präsidenten bald die Argumente ausgehen. Eine Analyse der internationalen Bemühungen zur Begrenzung der Treibhausgase weist für 2007 auf ein langsames Umdenken hin: Neben sieben europäischen Staaten finden sich mit Argentinien, Brasilien und Indien drei wichtige Schwellenländer unter jenen wieder, die ihre Anstrengungen zum Klimaschutz verstärken. Auch Südafrika und China weisen positive Trends auf.
Diese erfreulichen Signale dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch weiterhin mehr Entschlossenheit gefragt ist, um den Klimawandel zu stoppen. Zuerst müssen die Industrienationen ihre Kioto-Versprechen einhalten – besser noch, sie gingen darüber hinaus. Zweitens sind klare Zielvorgaben für die Zeit nach 2012 nötig.
Deutschland und die EU müssen zu ihren Zusagen stehen, ihre Treibhausgase um 40 bzw. 30 Prozent zu verringern. Diese Ziele dürfen nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft werden. Noch 2007 müssen verbindliche Zusagen vereinbart werden – damit 2009 die „Kioto-plus“-Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden können und bis 2012 dann das neue Protokoll in Kraft treten kann.
Leider droht Deutschland, indem es bei den Pkw-CO2-Minderungszielen zögert und eine Energiewende auf die lange Bank schiebt, seine Glaubwürdigkeit als Vorreiter in der Klimapolitik zu verlieren. In diesem Jahr der deutschen Doppelpräsidentschaft in der EU und bei den G 8 könnte sich das als besonders riskant erweisen.
Jede fünfte Tonne Kohlendioxid in der EU stammt aus dem Straßenverkehr, die Hälfte davon entfällt auf PKWs. Das Ziel der Gemeinschaft, den CO2-Ausstoß neuer Pkw bis zum Jahr 2012 im Durchschnitt auf 120 Gramm pro Kilometer zu senken, ist das Mindeste, was hier geboten ist. Auf keinen Fall darf Bundeskanzlerin Angela Merkel deshalb noch einmal den Einflüsterungen deutscher Autokonzernlenker erliegen und die Klimaschutz-Ziele der EU erneut in Frage stellen.
Dass sich diverse Prominente und Politikerinnen derzeit als heimliche Fans sparsamer Autos outen, ist durchaus hilfreich. Natürlich reicht es zum Klimaschutz nicht aus, wenn Grünen-Chefin Renate Künast nun auf ein Sparmobil umsteigt. Aber es sendet immerhin die erforderlichen Signale in Richtung Autokonzerne, ihre bisherige Modellpolitik radikal zu überdenken.
Damit sparsamere Autos von den Kunden in Zukunft auch angenommen werden – was bisher kaum der Fall war –, müssen sich die Werbestrategien der Autobauer ändern. Und die Politik muss zusätzlich Anreize setzen. Deshalb ist es so wichtig, dass die EU bei ihrer Ankündigung bleibt und den Autoherstellern wie ihren Mitgliedstaaten einen rechtlich verbindlichen Rahmen zur Reduzierung des Spritverbrauchs vorgibt.
Die energiepolitischen Vorschläge, welche die Wirtschafts- und Energieminister der EU gestern vorgelegt haben, lassen allerdings nichts Gutes ahnen. Anfang März müssen die europäischen Staats- und Regierungschefs eine endgültige Entscheidung über ein neues Energiepaket fällen. Wenn die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ein Erfolg werden soll, müssen Merkel und Umweltminister Sigmar Gabriel ein verbindliches CO2-Reduktionsziel von 30 Prozent bis 2020 durchsetzen. Erforderlich sind zudem EU-weit verbindliche Vorgaben für erneuerbare Energien von 25 Prozent bis 2020 sowie konkrete Ausbauziele für die Bereiche Strom und Wärme.
Nur wer bei sich zu Hause die Weichen für eine Energiewende stellt, wird in Sachen Klimaschutz international ernst genommen. ANGELIKA ZAHRNT
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