: Reform nur für junge Menschen
Patientenbeauftragte Stötzner fürchtet, dass die Gesundheitsreform Arme weiter benachteiligt
taz: Frau Stötzner, werden Patienten künftig schlechter behandelt?
Karin Stötzner: Nein, da sehe ich im Moment noch keine Gefahr.
Dann ist die Gesundheitsreform gar nicht so schlecht?
Sie bringt Vorteile, enthält aber auch einige Elemente, die insbesondere für Versicherte mit geringem Einkommen problematisch werden könnten. So werden alle Kassen aus dem Gesundheitsfonds nur noch eine Pauschale pro Versichertem bekommen. Wenn notwendige Leistungen damit nicht abgedeckt werden können, müssen die Versicherten dies allein mit einem Zusatzbeitrag auffangen.
Versicherte können ihre Kasse doch wechseln.
Wechseln, vergleichen und sich wie Kunden im System bewegen, das tun eher junge Menschen, weil sie mit diesem Kaufverhalten aufgewachsen sind. Die Älteren, die jahrzehntelang in ihren Kassen einen festen Ansprechpartner hatten, werden sich damit eher schwertun.
Künftig können die Versicherten ihre Beiträge bewusst senken, wenn sie dafür ein gewisses Risiko in Kauf nehmen. So können doch alle sparen?
Das ist problematisch, denn dadurch wird dem System Geld entzogen. Solche Selbstbehalttarife oder Möglichkeiten zur Rückerstattung in dem Fall, dass man Leistungen nicht in Anspruch nimmt, nützen auch vor allem jungen Leuten. Denn sie können für sich kalkulieren, dass sie morgen nicht schwer krank werden. Dieses Geld fehlt aber im Topf für Ältere und chronisch Kranke.
Gleichzeitig sollen die Kassen aber doch mehr Reha-Leistungen für Ältere finanzieren?
Das gehört zu den positiven Elementen der Reform, genauso wie Vater-Mutter-Kind-Kuren, die Pflichtleistungen werden – und natürlich die Versicherungspflicht, die vielen ehemaligen Versicherten die Rückkehr in ihre Krankenkasse ermöglicht. Was aus Patientensicht nicht so positiv ist, ist der erste Versuch, Leistungen bei schuldhaftem Verhalten zu verweigern. Die medizinischen Folgen von Piercings oder Schönheitsoperationen müssen die Patienten zum Beispiel bald selber tragen.
Muss ich denn mit meinen Beiträgen die Antibiotika für jemanden zahlen, der sich piercen lässt?
Bei diesem Beispiel stimmen sicher die meisten Menschen einer Verpflichtung zur Eigenverantwortung zu. Aber nach dieser Logik müssten auch die Folgen von Rauchen, Übergewicht und Alkoholmissbrauch selbst getragen werden.
Wenn Krebskranke Vorsorgeangebote nicht wahrnehmen, sollen sie künftig doppelt zuzahlen. Das stärkt doch Eigenverantwortung?
Das Problem dabei ist, dass mit Früherkennung keine einzige Krankheit verhindert wird. Oft kann man auch nicht alle Krankheiten damit ausfindig machen. Eine solche Sanktion wäre – wenn überhaupt – nur verständlich, wenn es einen kausalen Zusammenhang zwischen Früherkennung und Krankheitsvermeidung gäbe. Auch mit erhöhten Zuzahlungen benachteiligt man Menschen mit geringen Einkommen. Für sie sind auch kleine Beiträge oft schon ein Problem. Als die Praxisgebühr eingeführt wurde, habe ich gedacht: 10 Euro sind doch nicht dramatisch. Aber in der Beratung stellten wir fest, dass für viele Menschen diese kleinen Beträge existenziell werden, wenn sie sich summieren. Und das passiert mit Maßnahmen im neuen Gesetz. INTERVIEW: ANNA LEHMANN
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