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Ermittlungen erfolglos

Nach Morden in Sittensen sehen die Anwälte der festgenommenen Vietnamesen keinen Tatverdacht

BERLIN taz ■ Im Mordfall Sittensen gibt es Zweifel an der Täterschaft der beiden festgenommenen Vietnamesen. Deren Anwälte Wilfried Behrendt und Matthias Koch nannten die Beweislage „lächerlich“. Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern vor, letzte Woche in einem Chinarestaurant im niedersächsischen Sittensen sieben Menschen regelrecht hingerichtet zu haben.

Der Tatverdacht stütze sich lediglich auf einen Zettel, sagte Anwalt Koch. Es gebe keine Fingerabdrücke, Schmauch- oder DNA-Spuren. Die DNA-Spuren sind allerdings nach Polizeiangaben noch nicht ausgewertet. Behrendt macht für seinen Mandanten ein Alibi geltend, das derzeit überprüft wird. Er sei in Bremen in einer Spielhalle gewesen.

Auch die biografischen Angaben über die beiden Männer, die Anwalt Behrendt gegenüber der taz macht, erinnern so überhaupt nicht an vietnamesische Täter, die etwa in den 90er-Jahren in Berlin und Sachsen für die Zigarettenmafia mordeten. Seine Mandanten sollen als Jugendliche mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen sein und gut Deutsch sprechen. Sie arbeiten in der Gastronomie und stammen aus relativ wohlhabenden Küstenregionen in Vietnam. Die vietnamesische Mafia hingegen rekrutiert sich aus den armen mittelvietnamesischen Provinzen. Die Täter haben in Deutschland weder ein Aufenthaltsrecht noch einen legalen Job und sprechen auch wenig Deutsch. Ein Berliner Polizeispezialist für vietnamesische Kriminalität meint: „Ich weiß ja nicht, was die Kollegen in der Hand haben, aber mein Gefühl lässt mich zweifeln.“ Die zuständige Staatsanwaltschaft in Stade hält allerdings nach wie vor an ihrem dringenden Tatverdacht fest. Die Ermittler verfolgen aber auch eine neue Spur: Sie haben den Halter eines weißen Kleintransporters mit Bremer Kennzeichen, der am Tatort gesehen wurde, vernommen – geben zum Ergebnis aber keine Auskunft.

Ein Polizei-Dolmetscher aus einem neuen Bundesland hat eine neue These: Weil drei der Ermordeten Hongkong-Chinesen mit britischen Pass seien, könnten die Toten Opfer von Menschenhändlern geworden sein. Großbritannien ist derzeit eines der wichtigsten Zielländer für illegale Migranten aus China und Vietnam, Deutschland ist Transitland. „In Deutschland lebende Asiaten mit britischen Pass werden oft von Menschenhändlern erpresst, ihnen den Pass zu geben“, weiß der Mann. Opfer würden häufig keine Strafanzeige stellen, weil sie weitere Erpressungen fürchten. „Wenn ein Opfer gedroht hat, die Täter anzuzeigen, wäre das ein Mordmotiv“, sagt der Dolmetscher. Viele britische Asiaten in Deutschland würden aus Angst vor einem Passdiebstahl ihre Staatsangehörigkeit verschweigen. Die britische Botschaft erklärt allerdings, so eine Kriminalitätsform sei dort nicht bekannt. Hingegen hat die ermittelnde Polizei erklärt, die Identifizierung der Toten sei schwierig gewesen, weil mehrere von ihnen keine Pässe hätten. MARINA MAI

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