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Schimmel und Schildkröte

Hugo Chávez und die Medien (1): Wegen einer Satire auf die Präsidententochter ist in Venezuela eine regimekritische Zeitung verurteilt worden. Auch sonst steht es schlecht um die Medienvielfalt

AUS CARACAS GERHARD DILGER

Am 20. November 2005 regte Hugo Chávez an, den Schimmel im Wappen Venezuelas umzudrehen. Die Idee dazu wollte der Präsident von seiner Tochter Rosinés bekommen haben: „Papa, warum schaut dieses Pferd nach hinten und sieht dazu noch so aus, als hätte man es gebremst?“, so zitierte er Rosinés in seiner Fernsehshow „Aló Presidente“. Monate später war es so weit: Nun galoppiert das Wappentier nach links, dem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ entgegen.

Chávez’ Sorge über die „ideologischen Codes“ in Staatssymbolen wollte der Satiriker Laureano Márquez nicht teilen. Er verfasste einen offenen Brief an die Präsidententochter, den die Tageszeitung Tal Cual abdruckte –zusammen mit einem Alternativentwurf für das Wappen: einer Schildkröte, denn die sei, so Márquez, „ein gutes Symbol für unsere Langsamkeit in allem“. Außerdem solle Rosinés ihren Vater bitten, er möge sich doch nicht so über Oppositionelle ereifern.

Doch vergebens: „Legt euch nicht mit dem Mädchen an, sie ist unschuldig!“, konterte Chávez in „Aló Presidente“ – und erhielt Schützenhilfe von der Justiz: Eine Provinzrichterin verurteilte Márquez und Tal-Cual-Chefredakteur Teodoro Petkoff jetzt zu einer Geldstrafe in Höhe von jeweils zehneinhalb Monatsgehältern, weil sie gegen das Recht der damals Siebenjährigen auf „Ehre, guten Ruf und Privatsphäre“ verstoßen hätten. Angestrengt hatte den Prozess eine Staatsanwältin, die sich auf das Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen berief.

Der linksliberale Exguerillero und Exminister Petkoff, einer der vehementesten Chávez-Kritiker, sieht in dem Urteil einen „Anschlag auf die Pressefreiheit und einen Versuch, Tal Cual aus dem Verkehr zu ziehen“. Die Zeitung ist nicht das einzige Medium, das sich Repressionen ausgesetzt sieht: Gerade läuft eine Regierungsoffensive gegen den Fernsehsender Radio Caracas Televisión (RCTV). Am 27. Mai läuft dessen Lizenz aus, und der Präsident ist fest entschlossen, sie nicht zu verlängern (siehe Kasten).

Bereits 2004, so Petkoff, hätten Chávez und Medienzar Gustavo Cisneros, der Besitzer des anderen großen Privatkanals Venevisión, einen Pakt geschlossen. „Seitdem kommt die Opposition kaum noch zu Wort. Beide Sender sind im ganzen Land zu sehen. Daher bedeutet das Ende von RCTV eine massive Einschränkung der Pressefreiheit – unabhängig von der Qualität des Senders.“ RCTV-Direktor Marcel Granier verweist auf die „über 100 Radio- und TV-Sender unter Regierungskontrolle“, die dazu benutzt würden, „ihr politisches Projekt zu propagieren sowie Oppositionelle zu diskreditieren und anzugreifen“. Mit einigem Recht behauptet er: „Die größte und mächtigste Elite ist der Staat selbst, der die neuen Medien finanziert und leitet. Das sind im Grunde alles Staatssender, auch wenn einige als Gemeinschaftssender deklariert werden.“

Nun ist RCTV auch kein Garant für Qualität: Zu gut 80 Prozent besteht das Programm aus Telenovelas, Unterhaltungssendungen und Werbung. Die Nachrichtensendungen sind stramm antichavistisch und von zweifelhafter Seriosität. Doch der Staatskanal VTV ist ebenso einseitig, vulgär und dröge – „wie ein Spiegelbild der Oppositionssender“, findet der Linksintellektuelle Edgardo Lander. Der Soziologe wendet sich aber auch gegen einen Automatismus bei der Verlängerung von Lizenzen: „Ich bin dagegen, dass ein wichtiger Teil der Sendefrequenzen über Jahrzehnte hinweg in den Händen privater Monopole liegt, ohne dass man daran etwas ändern dürfte“.

Wegen der von Chávez immer wieder forcierten Polarisierung sind jedoch breit geführte Debatten in Venezuela eine Seltenheit – selbst Linke müssen damit rechnen, von besonders eifrigen Chavistas in die konterrevolutionäre Ecke gestellt zu werden, sobald sie ein kritisches Wort äußern. So finden die Überlegungen über die Anforderungen an ein öffentliches Fernsehen weitgehend intern statt. Der Regierung schwebe eine Art venezolanische BBC vor, sagt eine Journalistin des Basissenders Vive TV. „Wir wollen kein profitorientiertes Fernsehen“, verkündet Jesse Chacón, Minister für Telekommunikation. „Wir wollen Programmsegmente an unabhängige, kommunitäre und auch private Produzenten vergeben, auch an Leute, die Soaps produzieren.“

Doch derzeit ist wirkliche Unabhängigkeit undenkbar. „Wir haben schlichtweg keine Bürgermedien, sondern nur solche im Dienst der Regierung oder der Opposition“, sagt die Soziologin Maryclen Stelling. „In der politischen Schlacht der letzten acht oder zehn Jahre haben die privaten Medien den Platz der politischen Parteien eingenommen.“

Hintergründige Berichte, Interviews oder Meinungsbeiträge finden sich vor allem in Tageszeitungen wie Últimas Noticias, El Universal oder El Nacional. Auch Tal Cual wird noch lang zu diesem Kreis gehören: Eine so große Medienkampagne, wie sie ihr die Regierung durch die Causa Rosinés verschaffte, weiß Satiriker Márquez, „wiegt die Geldstrafen mehr als auf“.

2. Teil „Chávez’ neue Medienoffensive“ am 3. 3.

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