piwik no script img

Jeder kämpft für sich allein

„Wir sind überfordert, die Belegschaftsinteressen immer fair auszugleichen“

VON KLAUS JANSEN, THILO KNOTTUND KAI VON APPEN

Daniel Friedrich redet derzeit viel von Europa. Von „europäischer Ebene“ und „europäischen Lösungen“. Friedrich ist Sprecher der IG Metall Küste. Der Gewerkschaftsbezirk ist zuständig für 20.000 der 22.000 deutschen Beschäftigten der in die Krise geratenen Airbus-Sparte des europäischen EADS-Konzerns. 10.000 Arbeitsplätze sollten zunächst gestrichen werden. Nachdem der Verwaltungsrat am Montagabend das „Power8“ genannte Sanierungsprogramm genehmigt hat, war noch von knapp 8.000 zu streichenden Arbeitsplätzen die Rede (siehe links). An französischen und deutschen Standorten – eine Konkurrenzsituation also.

„Es gibt keine großen Differenzen zwischen den Nationen“, bemüht sich Friedrich, ein einheitliches Bild aufrechtzuerhalten. Obwohl auch er weiß, dass es die Konkurrenz-Debatte gibt, nachdem eine der fünf französischen Gewerkschaften bei Airbus, die Force Ouvrière, eine Studie publiziert hat, wonach die deutschen Standorte „unproduktiver“ seien als jene in Frankreich. „Verzichtbarer“ sollte das heißen.

Der Fall Airbus steht für ein Problem, das Gewerkschaften heute lösen müssen: Sie agieren national, die Konzerne operieren international. „Die Kapitalseite hat die Rahmenbedingungen so verbessert, dass sie einzelne Standorte gegenseitig ausspielen kann – sie brauchen das Drohpotenzial nicht mal mehr auszusprechen“, sagt Thomas Greven vom John-F.-Kennedy-Institut an der Freien Universität Berlin. Es wäre die Aufgabe von Gewerkschaften, internationale Solidarität unter den Arbeitnehmern zu erzeugen, sagt der Globalisierungsforscher. Die Praxis aber zeige, dass in Krisensituationen sogar die Solidarität mit den Arbeitgebern am eigenen Standort weit größer sei als die zu den Kollegen etwa im Nachbarland. Ein Dilemma: „Wenn man sich als Co-Manager einbinden lässt, wird man ausgespielt“, sagt Greven.

Die Gewerkschaften haben die Frage der Internationalisierung noch unzureichend beantwortet. „Wir sind manchmal noch überfordert, die Interessen von europäischen Belegschaften fair auszugleichen“, räumt Horst Mund, Leiter der Abteilung Internationales bei der IG Metall, ein. Die Gewerkschaften hinken der Kapitalseite immer noch „einen Schritt hinterher“, gibt auch Torsten Albrecht, DGB-Referatsleiter Europapolitik, zu. Durch die Debatte um Standortverlagerungen sei die Sensibilität zumindest gestiegen, auf europäischer Ebene zusammenzuarbeiten.

Es gibt da zum Beispiel die Dachverbände wie den Europäischen Gewerkschaftsbund. Oder Branchenverbände wie den Europäischen Metallerverband. Es gibt mittlerweile auch konkrete Absprachen der europäischen Metall-Gewerkschaften, bei Lohnverhandlungen von dem Grundsatz „Inflationsrate plus Produktivität“ nicht abzuweichen – theoretisch. Die IG Metall hat diesen Grundsatz zuletzt nicht eingehalten.

Und es gibt seit 1994 die Möglichkeit, Eurobetriebsräte in international tätigen Konzernen zu bilden. 850 dieser Gremien existieren derzeit nach Gewerkschaftsangaben. Knapp 2.000 könnten es sein, so viele Konzerne mit über 1.000 Beschäftigten und mindestens 150 pro Standort existieren in Europa. Ein Mittel der europaweiten Gewerkschaftsvernetzung?

Nach Untersuchungen der Hochschule Kassel sind allein gut ein Drittel passive Gremien, die nicht einmal die Mindeststandards der EU-Richtlinie zur Bildung von Eurobetriebsräten einhalten, sagt Hans-Wolfgang Platzer, Leiter der Forschungsgruppe europäische und internationale Arbeitsbeziehungen. Mindeststandards sind: ein Treffen des Eurobetriebsrats pro Jahr sowie Sondersitzungen in Krisensituationen des Unternehmens. Es gebe nur knapp zehn Prozent aktive Eurobetriebsräte, die mit dem Konzernmanagement auch wirklich verhandeln, etwa über internationale Arbeitsabkommen. Doch rein rechtlich dient dieses Gremium nur der Information und der Konsultation – nicht aber der Mitbestimmung.

Selbst wenn die rechtlichen Möglichkeiten größer wären: Die Airbus-Krise zeigt, wie schwierig eine Kooperation ist, wenn das Selbstverständnis von Gewerkschaften nicht annähernd identisch ist. In Frankreich gibt es Richtungsgewerkschaften, die sich als Gegenmacht in den Betrieben verstehen, aber nur acht Prozent der Beschäftigten organisieren. In Deutschland sind es Einheitsgewerkschaften, die in den Betrieben die Rolle des Co-Managers einnehmen, aber immerhin 23 Prozent der Beschäftigten organisieren. „Die strukturellen und kulturellen Unterschiede zwischen den Gewerkschaften sind ein großes Hindernis in der Praxis“, sagt DGB-Mann Thorben Albrecht.

Wie soll die Zusammenarbeit der Belegschaften in Konzernen funktionieren, die in elf europäischen Ländern produzieren – wie etwa bei General Motors (GM)? Den Kampf zwischen mehreren Standorten wie bei Airbus hat Rainer Einenkel bereits vor zweieinhalb Jahren erlebt. Er ist Betriebsratsvorsitzender im Bochumer Opel-Werk und sagt: „Wenn Gewerkschaften in internationalen Konzernen heute noch eine Bedeutung haben, dann die, den Dialog zwischen den Ländern zu organisieren.“

Einenkels Einsicht basiert auf schmerzlichen Erfahrungen. Sein Werk stand im Herbst 2004 vor dem Aus. 10.000 Arbeitsplätze wollte GM in Deutschland abbauen, die meisten im Ruhrgebiet. Die Bochumer Opelaner reagierten mit wilden Streiks auf die Drohungen aus Detroit – und mussten mit ansehen, dass die Kollegen an anderen betroffenen Standorten weiterarbeiteten. In England, Schweden oder Polen – aber auch in Rüsselsheim und Kaiserslautern. „Einige Kollegen hatten damals schon das Gefühl, alleine zu stehen“, sagt Einenkel heute.

Dass Opel Bochum trotz des Verlusts von 2.700 Mitarbeitern überlebt hat, lag an einem Zukunftsvertrag, den Gewerkschafter und Manager im Frühjahr 2005 unterzeichneten. Mit Lohneinbußen und flexibleren Arbeitszeiten erkämpften die Arbeiter die Produktion des fünftürigen Opel Astra. Weil dafür im britischen Werk Ellesmere Port Kapazitäten wegfielen, schrieben die dortigen Betriebsräte einen wütenden Brief an IG-Metall-Chef Jürgen Peters: Die deutschen Arbeitnehmer dürften keine Zugeständnisse zu Lasten anderer Werke machen. Die Grenzen der Solidarität waren auf beiden Seiten erreicht. „Manche Kollegen im Ausland fanden, dass wir für unseren Streik bestraft werden müssten“, sagt Betriebsrat Einenkel.

Bald wird er diesen Härtetest wieder erleben. GM hat einen „Schönheitswettbewerb“ ausgeschrieben, in dem sich die fünf Werke Bochum, Ellesmere Port, Gliwice, Antwerpen und Trollhättan um den Bau des Astra-Nachfolgers Delta II ab 2010 bewerben müssen. Jeder Standort muss versuchen, so kostengünstig und schlank wie möglich abzuschneiden. Schon jetzt ist nach Expertenansicht klar, dass mindestens ein Standort leer ausgehen und geschlossen wird. Die Arbeitnehmervertreter bei GM fordern in einem gemeinsamen Positionspapier zwar den Erhalt aller fünf Werke, und der GM-Eurobetriebsrat Klaus Hemmerling spricht vollmundig vom „drohenden dritten Weltkrieg“. Gleichzeitig aber beobachten die Laufsteg-Konkurrenten eifersüchtig wie Models, ob eine Partnerfabrik im Schönheitswettbewerb schlechter abschneidet. „Natürlich will jeder zuerst selbst satt werden“, sagt der Bochumer Betriebsrat Einenkel. Dabei gilt der schon 1996 gegründete Eurobetriebsrat von GM innerhalb der Gewerkschaften als Blaupause. Einenkel dagegen sagt: „Es ist eine Kunst, der Belegschaft klarzumachen, dass ein Angriff auf einen von uns immer allen gilt.“

Es ist auch eine Kunst für die Airbus-Gewerkschafter. „Nationalstaatliche Lösungen bringen uns auf längere Sicht nicht weiter“, sagt Daniel Friedrich von der IG Metall Küste. Doch auch er musste mitansehen, dass ein Gerücht über den möglichen Standort für die Modelle A 320, A 350 oder A 380 das nächste jagte. Auch er kann nicht ausschließen, dass sie von interessierter Seite gestreut werden. Insofern steht die grenzübergreifende Solidarität zwischen den Airbus-Belegschaften mitsamt dem Eurobetriebsrat erst vor dem Testfall. Spätestens nach dem Treffen zwischen Konzernleitung und Euro-Betriebsrat, der morgen über „Power8“ informiert werden soll. Thomas Greven von der FU Berlin ist skeptisch: „Der normale Gewerkschaftsreflex ist immer national.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen