: „Die Volkszählung war nichts dagegen“
Technologieexpertin Constanze Kurz fordert eine Bürgerrechtsbewegung gegen die drohende Überwachung unserer Computer per Internet. Wenn eine Überwachungstechnik erst zugelassen sei, werde sie mehr und mehr angewandt
taz: Frau Kurz, die Online-Durchsuchung von Computern wurde gerichtlich verboten. Warum regt Sie das Thema noch auf?
Constanze Kurz: Weil die Innenpolitiker der Koalition schon vor dem Urteil gesagt haben, dass sie ein Gesetz schaffen, das ihnen die permanente Überwachung von Internetnutzern erlaubt.
Ist „permanente Überwachung“ nicht übertrieben?
Mag sein, aber angesichts der Möglichkeiten solcher Software ist ein dauerhaftes Online-Schnüffeln keineswegs unmöglich. Wenn die Polizei dazu befähigt wird, ein Späh-Programm, den so genannten Bundestrojaner, auf Ihrem Rechner zu installieren, kann sie sehr viel anstellen: unter anderem die privaten Daten lesen und Internettelefonate abhören. Es ist sogar möglich, mit den Mikrofonen am Computer in das Zimmer des Betroffenen hineinzulauschen.
Das sind doch Horror-Szenarien. Die Internetnutzer lachen sich in ihren Blogs und Foren darüber kaputt!
Natürlich. In den Blogs diskutieren häufig Experten. Dass die sich gegen den Bundestrojaner schützen können, will ich gern glauben. Viele von ihnen verwenden alternative Betriebssysteme wie Linux, sie verschlüsseln ihre Daten und Telefonate und achten genau darauf, was sie mit ihrem Computer machen.
Also kann man sich schützen?
Ja, aber mit recht viel Aufwand – und selbst dann ist es nicht sicher. Es gibt auch keine einbruchssicheren Häuser. Wer das richtige Werkzeug hat, der schafft es meistens auch rein.
Es gibt viele Bastler, die Trojaner aufs Internet loslassen. Die scheitern oft an normalen Virenscannern. Warum sollte das Bundeskriminalamt erfolgreicher sein?
Das BKA ist nicht irgendwer. Und wenn Sicherheitsbehörden Software-Unternehmen zur Zusammenarbeit bewegen wollen, dann wehren die sich in der Regel nicht allzu sehr. Die Ermittlungsbehörden könnten beispielsweise verlangen, dass Sicherheitslücken in Programmen, die sie nutzen wollen, nicht geschlossen werden.
Das ist Spekulation.
Nein. Selbst ein sich als sehr unabhängig gebendes Unternehmen wie Google arbeitet in China mit den Sicherheitsbehörden zusammen. Und Microsoft hat zugegeben, dass es bei der Entwicklung seines Betriebssystems Vista mit dem US-Geheimdienst NSA zusammengearbeitet hat.
Müssten die Nutzer nicht einfach nur auf freie Programme umsteigen ?
Das wäre wünschenswert, aber die meisten Menschen tun sich schwer damit. Sie wollen nicht Stunden investieren, damit ihr PC sicher ist. Aber auch sie haben ein Recht darauf, etwa mit dem Internet Explorer von Microsoft zu surfen, ohne sich ständig Gedanken zu machen, dass ihnen der Staat dabei zusieht.
Das klingt schon wieder nach Science-Fiction. Glauben Sie denn wirklich, dass die Polizei den Trojaner flächendeckend verbreiten will, um notfalls jeden abhören zu können?
Solche Spekulationen führen zu nichts. Grundsätzlich haben die vergangenen Jahre aber eines gezeigt: Ist eine Überwachungstechnologie zugelassen, wird sie auch mehr und mehr angewandt. Die Zahl der Telefonüberwachungen hat sich von 1995 bis 2005 mehr als verfünffacht. Die Online-Überwachung ist das i-Tüpfelchen auf einer Reihe von Maßnahmen, welche ein Mehr an Überwachung bedeuten und den Kernbereich des Privatlebens unmittelbar betreffen.
In Leipzig wurde der Verdächtige im Fall eines Kindermordes mit dem Bild einer Straßenbahnkamera ermittelt.
Hat diese Kamera den Mord verhindert? Nein. Überwachung schützt nicht.
Aber Verdächtige werden schneller gefasst.
In den USA hat der Staat 80 Millionen Fingerabdrücke gesammelt. Wie viele Terrorverdächtige sind aufgrund dieser enormen Datenmenge ermittelt worden? Ein einziger! Die Freiheit, die wir mit der totalen Überwachung aufgeben, steht in keinem Verhältnis zu dem Ergebnis, das wir erhalten. Dagegen war die geplante Volkszählung 1983 der reine Kindergarten.
Wieso wird dann öffentlich so wenig über die Online-Überwachung diskutiert?
Weil der Computer eine Technologie ist, die wir alle benutzen, aber über die nur wenige wirklich etwas wissen. Daher können auch viele die Folgen einer Bespitzelung per Internet nicht abschätzen.
Und wer soll das ändern?
Die Informatik müsste ihren engen technischen Blickwinkel erweitern und den gesellschaftlichen Folgen des Einsatzes von Computern mehr Aufmerksamkeit widmen. Die Technik-Experten müssen den Menschen bewusst machen, was auf sie zukommt. Denn angesichts der geplanten Einschnitte in die Freiheitsrechte brauchen wir eine neue Bürgerrechtsbewegung.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ
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