: Islamisten im Libanon begehren auf
In der Stadt Tripoli im Norden des Landes liefern sich militante Islamisten tödliche Gefechte mit der libanesischen Armee. Die Region ist die Hochburg gewaltbereiter Sunniten und Heimatstadt der „Kofferbomber“. Prozess geht morgen weiter
AUS BEIRUT MARKUS BICKEL
Bei Gefechten in der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli sind in der Nacht von Samstag auf Sonntag mindestens 19 Soldaten und militante Islamisten ums Leben gekommen. Die Kämpfe in der Hochburg der religiösen libanesischen Sunniten breiteten sich nach Polizeiangaben aus dem im Zentrum Tripolis gelegenen Viertel Zahriyeh in das am Rande der Stadt gelegenen Palästinenserlager Nahr al-Bared aus. Dort sollen Kämpfer der al-Qaida nahestehenden Organisation Fatah al-Islam für die Schießereien gegen die mit Panzern angerückten Armeeeinheiten verantwortlich sein.
Die Truppe wird von Kennern der Islamistenszene in Tripoli auf rund 200 Mann geschätzt. An ihrer Spitze steht Shakir al-Absi, ein von jordanischen Behörden wegen Mordes an dem US-Diplomaten Laurence Foley im Jahr 2002 gesuchter Palästinenser. Libanesische Sicherheitskräfte machen Fatah al-Islam für die tödlichen Anschläge auf zwei Busse nördlich von Beirut im Februar verantwortlich. In Interviews, die al-Absi in den Wochen danach gab, stritt er Verbindungen seiner Organisation zu al-Qaida und die Verantwortung für die Busattentate ab. Die mit der Aufklärung des Mordes an Expremierminister Rafik Hariri und einer Serie weiter politischer Attentate betraute Sonderkommission der Vereinten Nationen (UNIIIC) ermittelt auch zu diesen Anschlägen.
Ein Kenner der islamistischen Gruppierungen in Tripoli, mit dem die taz sprach, hält eine Verwicklung Fatah al-Islams in die Kämpfe im Stadtgebiet für unwahrscheinlich. Während sich die Situation in der Stadt bis Sonntagmittag beruhigte, waren die Scharmützel in Nahr al-Bared auch am Nachmittag noch nicht beendet. Das Lager nördlich von Tripoli mit 30.000 Einwohnern ist seit gut zwei Monaten immer wieder Schauplatz von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Palästinensergruppen.
Befürchtungen, die verarmte Gegend nahe der syrischen Grenze könnte sich zum Zentrum von gewaltbereiten sunnitischen Gruppen entwickeln, gibt es spätestens seit dem Abzug der syrischen Truppen im April 2005. 1986, noch während des Bürgerkrieges, hatten die langjährigen Besatzungstruppen einen Aufstand militanter Sunniten niedergeschlagen – die Gefechte vom Wochenende sind die blutigsten seit damals. Auf etwa 600 Mitglieder wird die Zahl der strenggläubigen sunnitischen Salafiten in der historischen Hafenstadt geschätzt, die vor allem frommes individuelles Verhalten in den Vordergrund stellen und nicht unbedingt den bewaffneten Kampf gegen Ungläubige. Aus ihren Kreisen haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder kleinere Gruppen zum heiligen Krieg gegen die US-Armee und ihre Verbündeten im Irak aufgemacht.
Auch die beiden sogenannten „Kofferbomber“, die im Juli 2006 Anschläge auf zwei Reisezüge in Köln planten, stammen aus Tripoli. Der Prozess gegen den im Libanon inhaftierten Dschihad Hamad soll am Dienstag in Beirut wiederaufgenommen werden, der Prozessbeginn gegen den in Berlin einsitzenden Jussif al-Hajdib ist im Sommer geplant. Wegen der Gefahr möglicher Entführungen hat die deutsche Botschaft in Beirut Deutsche vor Reisen nach Tripoli gewarnt. Eine zusätzliche Angriffsfläche für die sunnitischen Kämpfer bietet die Libanon-Schutztruppe Unifil: Während sich die schiitische Hisbollah von Generalsekretär Hassan Nasrallah eindeutig gegen Anschläge auf die internationalen Einheiten ausgesprochen hat, bezeichnete der stellvertretende Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri „die Präsenz internationaler Kräfte und Kreuzritter“ im Libanon im Februar als inakzeptabel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen