Und sie schnarrt wieder

Klicken, warten, wedeln, warten: Fotos mit der Polaroidkamera zu machen, ist ein Ritual. Bevor ihm Digicams den Garaus machen, gibt es ein Revival, an dem auch der Verlag Schwarzerfreitag arbeitet

VON MARCUS WOELLER

Die individuellen Erinnerungen an die Siebzigerjahre speisen sich aus vielen Quellen. Koloristisch hat die Zeit aber für alle einen leichten Stich. Kein Farbton so rein wie in der Minimal Art der Sixties oder so grell wie im Neonschein der Eighties. Staubige Korktapeten und ausgeblichene Hollywoodschaukeln, Küchenstühle aus Resopal, Omas Dederon-Blusen; gelblich verfärbte Super-8-Filme vom Badeurlaub, und natürlich rosa oder bläulich verschleierte Polaroidfotos von der Familienfeier. Vieles davon hat die letzten Jahrzehnte nicht überstanden, einiges ist längst im Revival reanimiert worden. Jüngster Wiederentdeckungshype: die Polaroids.

Von allen fotografischen Methoden haftet dem Sofortbild noch am ehesten die Benjamin’sche Aura an. Tatsächlich ist jedes ein Original, da bei der Polaroidfotografie auf den Umweg über ein beliebig oft reproduzierbares Negativ verzichtet wird. Streng genommen gibt es zwar ein Negativ, aber es verbirgt sich in einer der Schichten des Films und ist untrennbar mit dem Positiv verbunden. Was sich mit dem unverwechselbaren Schnarren vorn aus dem Schlitzmaul einer Sofortbildkamera herausschiebt, ist jedenfalls ein Unikat. Es mit zwei spitzen Fingern zu fassen und sofort in der Luft zu wedeln, hat übrigens keinen Einfluss auf die Entwicklungsgeschwindigkeit, sollte aber als traditionelles Zeremoniell unbedingt bewahrt werden.

Die amerikanische Firma Polaroid hatte 1947 den Fotomarkt mit einer komplizierten technischen Entwicklung betreten, die erstmals sich praktisch selbst entwickelnde Fotografie ermöglichte. Die Unmittelbarkeit des Verfahrens hatte schon früh Künstler und Fotografen begeistert – Ansel Adams, Robert Rauschenberg, Richard Hamilton.

Seit 1972 vertrieb Polaroid dann den schon bald legendären SX-70-Film, dessen Chemiereservoir in der breiten Unterkante dem Format seine markante Optik verleiht. Die gleichnamige Spiegelreflexkamera vereinte Benutzerfreundlichkeit mit spektakulärem Design. Damit verankerte sich Polaroid als populäre und immer auch etwas extravagante Kulturtechnik. Bis die Omnipräsenz der Digitalfotografie der Instantkamera den Garaus machte.

Nicht ganz. Denn es gibt Liebhaber der kleinen Fotos. Im September 2005 wurde die Fotocommunity polanoid.net ins Netzleben gerufen und vereint heute mehr als 5.000 registrierte User und über 60.000 hochgeladene Fotos. Aus den Neuzugängen wählen die Mitglieder jeden Tag den „Shot of the Day“. Der Berliner Verleger und Instantfotosammler Andreas Freitag hat für den dritten Band seiner Reihe „Pocket Polaroids Series“ eine Kooperation mit der Internetplattform geschlossen. Das neue Buch präsentiert nun mit mehr als 90 maßstabsgetreu reproduzierten Fotografien die gesamte Bandbreite der künstlerischen Polaroid-Produktion: Landschaften, Porträts und Akte, Dokumentarisches und Abstraktes, poetische Bilder und Witzfotos.

Die kleinen Macken des Filmmaterials – schwache Tiefenschärfe, die volumenreiche Perspektiven ganz schnell flach macht, oder Farbinstabilität, die durch Manipulationen noch gesteigert werden kann – sind dabei oft ein Ansporn zu kreativen Experimenten. Polanoid-Mitglied Randolph A. Barry aka demoforest fotografiert Neonreklamen und Werbeschilder aus extremen Blickwinkeln vor blauem Himmel und huldigt so der Pop-Art. Filippo Centenari bearbeitet den Film manuell und erzeugt surrealistische Farbschlieren. Andere knipsen ins Gegenlicht oder versuchen Mehrfachbelichtungen.

Einen ganz besonderen Reiz hat beschädigtes Filmmaterial jenseits der Haltbarkeit. Hier macht die Chemie endgültig, was sie will. Verzerrte Farben, getilgte Kontraste – die Sofortbildfotografie wird zum nostalgischen Kommentar auf ihr eigenes Verfallsdatum. Die in Berlin und Los Angeles lebende Künstlerin Stefanie Schneider ist mit einer solchen Motivik schon relativ bekannt geworden.

Im Showroom des Verlags Schwarzerfreitag findet heute die Buch-Release-Party statt. Gleichzeitig wird der Fan-Weblog polaroids.de freigeschaltet. Und um das analoge und somit vollkommen aus der Zeit gefallene Sofortbild zu retten, bietet der Verlag sowohl einen kostenlosen Polaroidkameraverleih als auch die erst seit kurzem wieder produzierten SX-70-Filme an – die allerdings muss man kaufen.

Release-Party zum Fotobuch „Shot Of The Day – Pocket Polaroids Series 3“, heute 20 Uhr, Schwarzerfreitag Showroom, Ackerstr. 173