: Ist intelligenter Rap möglich?
Hiphop in Deutschland ist erfolgreich wie nie zuvor. Es ist allerdings Gangsta-Rap, der die Umsätze macht. Was ist aus Conscious-Rap geworden, der reflektierten Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit? Fragen an die Rapper Toni L., Textor und Megaloh
taz: Ist Rap doof?
Toni L: Das hängt vom Künstler ab.
Braucht Deutschland eine Alternative zum Gangsta-Rap?
Es hat viele Alternativen. Man muss bloß mit offenen Augen und Ohren durch die Musiklandschaft gehen. Es geht um Knowledge, nicht um Hass. Hass kommt irgendwann zurück. Es kommen immer neue Hiphop-Generationen, aber ich bin der Meinung, es muss wieder mehr Positives passieren. Wenn man zurückgeht, hat man die Möglichkeit, andere Wege zu gehen, und kommt auch wieder aus der Klischee-Sackgasse raus, in der Hiphop hierzulande steckt.
Ist intelligente Rapmusik überhaupt möglich?
Intelligenter Rap ist immer möglich und war auch schon immer da. Ich glaub, jeder trägt negative Energie in sich. Jeder hat seine Lebenserfahrungen. Wenn wir kritisieren, arbeiten wir mit Fakten, wie in unserem Song „Fremd im eigenen Land“. Mit dem stellten wir unsere Identität klar und begegneten den Leuten offen: nicht Türen zuschlagen, sondern Türen aufmachen, damit die Leute den Weg zu uns finden. Negatives in Positives zu wandeln, das war der Anfang von Hiphop.
In welcher Welt sind Advanced Chemistry und Toni L Nummer eins?
In der Hiphop-Geschichte.
Was ist typisch deutscher Rap?
Den gibt es nicht. Es gibt nur deutschsprachigen Rap. Hiphop ist größer als Deutschland, größer als die deutsche Sprache. Es ist eine Kultur und sie bedient sich auch bei anderen Formen von Musik, ob Klassik, Salsa oder Blues. Wir bedienen uns aber nicht nur bei anderen Genres, wir haben auch Respekt vor Musikstilen, die außerhalb des Hiphop-Kontextes stattfinden. Wir wurden von Anfang an mit unterschiedlichen Altersgruppen und Nationalitäten konfrontiert. Wir haben uns immer für Toleranz eingesetzt und gegen Ignoranz gewandt. Durch die Medien und die Musikindustrie ist Hiphop zum Selbstläufer geworden. Unsere Wurzeln, der Heidelberg-Flavour, liegen jedenfalls im Austausch. Wir sind schon früh rüber nach Frankreich, hatten Auftritte in Italien, in England und USA. Wir wollten immer raus.
Deine Botschaft an Sido?
Verbessere die Welt, grüß mir Harris, tanz zum Funkanimal.
Wer rappt was in Deutschland im Jahr 2017?
Die heutige Generation wird gegen die kommende Generation alt aussehen. Ich werde als Hiphop-Rentner auf dem Traumschiff über die Weltmeere schippern und das alte Publikum von morgen entertainen. JUWE
VON JULIAN WEBER UND THOMAS WINKLER
Gesprochene Zeitungen, Faxe vom Plattenteller. So umschrieb der englische Musikjournalist David Toop einmal die Hervorbringungen von Hiphopcrews wie den Jungle Brothers, A Tribe Called Quest oder De La Soul. Diese fanden in ihren Vorstellungswelten Ende der Achtziger, als die ersten Gangwars in Los Angeles tobten, weise, psychedelische oder einfach komische Worte, um die Alltagsanarchie ihres Lebens in ihrer Musik zu reflektieren. Die Bandenkriege sind geblieben, aber von der einstigen „Consciousness“ im Rap ist heute nur noch wenig übrig. Längst ist Hiphop mit der ganzen Welt in Kontakt getreten, die Musikindustrie vermarktet aber vornehmlich Gangsta-Rap.
taz: Ist Rap doof?
Textor: Nein!
Braucht Deutschland eine Alternative zum Gangsta-Rap?
Es gibt genügend Alternativen. Falls sich jemand bedrängt fühlt von Gangsta-Rap, soll er sich entspannen. Es nicht so, als sei einem da die Initiative aus den Händen genommen.
Ist intelligente Rapmusik überhaupt möglich?
Natürlich.
In welcher Welt sind Kinderzimmer Productions Nummer eins?
In der Welt, in der sich Kinderzimmer Productions aufhalten, gibt es keine Hitlisten. Es gibt nur Dasein oder eben Nicht-Dasein.
Was ist typisch deutscher Rap?
Was mich wirklich interessiert, ist der Kern der Sache. Man wird reingeworfen in eine Situation mit all den Problemen, die sie hat, mit all dem Mangel und all dem Überfluss, und man ist dagegen machtlos. Wenn man das Bedürfnis hat, selbst zu gestalten, verbringt man Jahre in Unfreiheit. Es gibt wenig Platz, den man nutzen kann. Wenn man älter wird, stellt man fest, dass es nicht reicht, erwachsen zu werden. Dieses Gefühl von Unfähigkeit und Machtlosigkeit bleibt. Dann kommt Hiphop und man stellt fest, es geht nicht darum, die Welt unter sein Joch zu bringen und eine Stadt aufzubauen, die aussieht wie man selbst, sondern es geht darum, das, was ist, mit Sinn zu füllen. Hiphop sagt, hier ist ein Plattenspieler, und der mitteleuropäische Ansatz ist, ich lege diese Nadel auf und empfange etwas. Der Hiphop-Ansatz ist, ich lege diese Platte auf, halte sie an und dreh sie zurück. Hiphop heißt, ich traue mir etwas zu, ich denke und drehe und mir ist auch egal, dass der Plattenspieler nicht dafür konzipiert wurde, und es ist egal, dass er vielleicht kaputtgeht, weil der Impuls so stark ist.
Eure Botschaft an Sido?
(unter lautem Lachen) Keine Botschaften, sondern Fragen habe ich an Sido. Erstens würde ich total gerne wissen, woher die Maske ist und wer sie gemacht hat? Zweitens würde mich ein Studiotag mit Sido interessieren. Wie läuft das bei ihm ab? Danach hätte ich möglicherweise auch eine konkrete Botschaft.
Wer rappt was in Deutschland im Jahre 2017?
Ich hab die Vermutung, dass Hiphop bis dahin unterrichtet wird, vielleicht als Schulfach. Oder zumindest, dass Rap mitintegriert wird in Gesangbücher, dass es sozusagen den Bob-Dylan-Weg allen Fleisches nimmt. Ich glaube, es wird das Gleiche für die 18-Jährigen im Jahre 2017 geben, was EricB & Rakim für uns als 18-Jährige bedeutet haben. JUWE
Das war einmal anders. Als Advanced Chemistry 1992 „Fremd im eigenen Land“ herausbrachten, war der deutsche Conscious-Rap geboren: Drei Migrantenkinder beschrieben ihre Wirklichkeit. Fortan war deutscher Hiphop nicht mehr nur reine Aneignung, sondern auch Medium für deutsche Befindlichkeiten. Heute meldet sich Advanced-Chemistry-Gründungsmitglied Toni L mit der zehnköpfigen Band Safari Sounds und dem Album „Funkanimal“ (360 Grad/RTD) zurück. Es ist eine Funkplatte geworden auf der Toni befreit reimt: „Die Welt wird krank und stirbt / Sobald nicht mehr getanzt wird“.
taz: Ist Rap doof?
Megaloh: Grundsätzlich nicht. Aber wenn der Rapper doof ist, dann ist auch der Rap doof. Es gibt in Deutschland ein intellektuelles Defizit, das haben die Pisa-Studien gezeigt, und im Rap drückt sich nur aus, was im ganzen Land gang und gäbe ist.
Braucht Deutschland eine Alternative zum Gangsta-Rap?
Es gibt in Deutschland nicht nur Gangsta-Rap. Deutschland braucht einfach gute Rap-Musik. Wenn die von Gangstern gemacht wird, die auch rappen können und Authentisches von der Straße erzählen, dann kann das auch Inhalte vermitteln. Es muss keine Alternative geben, sondern echte Musik, mit der die Leute was anfangen können.
Ist intelligente Rapmusik überhaupt möglich?
Ja, klar. Die Frage ist, ob die auch gekauft wird. Sind die Hörer intelligent genug, um intelligenten Rap zu verstehen? Wenn es eine Nachfrage gibt nach Substanz, dann wird es das auch geben.
In welcher Welt ist Megaloh Nummer eins?
Eine Welt voller Mischlingskinder mit afrikanischen Wurzeln und überstandenen Identitätskrisen.
Was ist typisch deutscher Rap?
Atzen-Rap von Leuten wie Frauenarzt, das ist für mich typisch deutscher Rap. Was mich angeht: Vom Umgang mit der Sprache umzugehen bin ich auf dem Niveau amerikanischen Raps. Aber was Inhalte und Sprachkultur angeht, bin ich sehr deutsch. Und das muss auch gemacht werden: Die eigene Kultur in den Rap integrieren, die eigene Identität finden, Goethe oder Brecht einbauen, deutsche Komponisten und Kinderlieder samplen.
Deine Botschaft an Sido?
Ich hab wirklich keine Botschaft an Sido. Der soll sein Ding weiter machen.
Wer rappt was in Deutschland im Jahr 2017?
Im Jahr 2017 ist das ein Gangstarap-Revival schon wieder am Absterben. Es kommt alles in Zehnjahres-Zyklen. Die großen Felder im Rap sind Conscious-, Party- und Gangsta-Rap. Der Conscious-Rap öffnet die Augen, erzählt von dem System, wie Menschen dumm gehalten werden von denen, die oben stehen, damit die immer reicher werden können. Dann gibt es den Party-Rap, mit dem die Leute abschalten, Spaß haben und sich amüsieren wollen mit Frauen und Alkohol. Und der Gangsta-Rap erzählt von der Straße, von den Leuten ohne Bildungsperspektive. Alle drei Gebiete wird es immer geben, mit ihren Untergruppen und leichten Nuancen, alle drei Gebiet müssen im Rap sein, auf keins will ich verzichten. TO
In den 90ern fand Rap ins Reihenhaus. Bürgersöhnchen bemächtigten sich des Formats, und aus Conscious-Rap wurde, so fanden jedenfalls Böswillige, Studentenrap. Die wichtigsten Vertreter: Blumentopf, Eins, Zwo, Kinderzimmer Productions aus Ulm. Deren Rapper Textor lebt nun in Berlin. Auf „Asphalt“ (Kinderzimmer Records/RTD) reimt er über die ihm ungewohnte Atmosphäre in der Großstadt, während die Beats von DJ Quasi Modo mit verspielten Beats an das versunkene Zeitalter der „Consciousness“ andocken.
Megaloh wiederum repräsentiert die kommende Generation: Der Berliner Rapper möchte zwar nicht „Conscious“ genannt werden, aber distanziert sich auch von der so genannten Berliner Härte von Bushido und Konsorten. Auf seinem neuen Album „Alles Negertiv“ (Distributionz/Soulfood) rappt 26-Jährige gegen Nazis („Ihr seid nur neidisch, weil ihr die kleineren Pimmel habt“), von seiner Heimat („Ich lebe im Land der Verdränger und Heuchler“) und findet, dass es im deutschen Hiphop „lange an Inhalten gefehlt“ hat. Gewöhnungsbedürftig für die Vertreter der reinen Lehre dürfte zwar Megalohs Frauenbild sein, aber die Kombination aus Straßen-Authentizität, Party-Raps und harten Reimen ist wahrscheinlich näher dran an den originalen Vorstellungen von Conscious-Rap aus den USA, als es seine Vorgänger hierzulande je waren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen