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Sternstunden der Geriatrie

Peter Oakley (79) ist der weise alte Mann bei YouTube. Jetzt hat er mit einer Rentnerband „My Generation“ aufgenommen – ein Song, mit dem schon 1965 Englands Jugend rebellierte

VON DIETER GRÖNLING

Seine immer gleiche Begrüßung ist Legende: „Hello Youtubers!“ Dann plaudert der alte Mann mit dem Pseudonym „Geriatric1927“ in sein Kopfhörermikro. Er reflektiert sein ganz und gar unspektakuläres Leben, macht Witze, erzählt von den Bombennächten und von der Einsamkeit des Älterwerdens. Und damit seine Altersgenossen die Scheu vor Internet und Computer verlieren, gibt er auch schon mal Nachhilfeunterricht.

Bereits sein erstes, nur zweiminütiges Video „First Try“, das er im letzten August bei YouTube ins Netz stellte und das er selbst als geriatrisches Meckern und Murren bezeichnet („geriatric gripes and grumbles“), löste eine riesige Resonanz aus. Allein 4.700 begeisterte E-Mails hat er erhalten, hinzukommen unzählige Clips, die andere als anspornende Video-Antwort hochgeladen haben. Peter machte weiter, bislang entstanden 75 Folgen, darunter die Serie „Telling it all“, in der er aus seinem Leben erzählt. Keine sentimentalen Geschichten vom Krieg, sondern sachlich und mit trockenem Humor, wie ihn wohl nur die Briten drauf haben. Der Witwer aus Mittelengland gilt mittlerweile als Superstar, seine Videos wurden bislang von fünf Millionen Leuten gesehen.

Dabei scheint „Geriatric1927“ offenbar einen Nerv zu treffen, der mit den bekannten Maßstäben von „Jugendkultur“ und „Generationskonflikt“ nicht mehr zu messen ist. Die Leute lieben ihn einfach – egal woher sie kommen und wie alt sie sind. Theoretiker meinen bereits, dass Peter Oakley eine Kulturrevolution bewirkt habe. Das Internet und besonders YouTube sei durch ihn erwachsen geworden – weil er andere alte Menschen zum Mitmachen animiert.

Die auch hierzulande nicht zuletzt durch die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender geprägten Vorurteile gegenüber Älteren sind kaum aus den Köpfen zu bekommen. In England ist das offenbar anders, und „Geriatric1927“ mischt kräftig mit: Um auf die Lebensbedingungen alter Menschen aufmerksam zu machen, hat sich die BBC im April die Aktion „Old Age Happening“ ausgedacht.

Durchschnittsalter: 78

Anlass war die bevorstehende Schließung einer beliebten Bingohalle, es kam zu heftigen Protesten besonders unter der älteren Bevölkerung. Flugs wurde unter anderem die Band „The Zimmers“ („Die Laufgestelle“) gegründet. Peter Oakley ist bei weitem nicht das älteste Bandmitglied (Durchschnitt: 78 Jahre). Grace Cook ist 83, Winifred Warburton bereits 99 – und der älteste ist Buster Martin mit 100 Jahren. Bei besonderen Events werden noch gesangskräftige Mitstreiter aus Altenheimen akquiriert.

Bislang größter Erfolg der Rentnerband ist eine Coverversion eines alten Who-Klassikers: „My Generation“. The Who tourt heute selbst als Rentnerband durch die Welt, 1965 war der Song jedoch Hymne der britischen Jugendrebellion: „Things they do look awful c-c-cold / I hope I die before I get old (Talkin’ ’bout my generation)“.

Erstaunlich, wie der fast zahnlose 90-jährige Leadsänger Alf Carretta den Song vorträgt. Glasklar artikuliert, dabei absolut werktreu und glaubwürdig – mit feiner Ironie, die natürlich besonders an der Stelle rüberkommt, an der er hofft, dass er stirbt, bevor er alt wird. Auch das berühmte Stottern in den Textzeilen kriegt er hin. Und am Schluss wird ganz authentisch die Gitarre zertrümmert und das Schlagzeug mit großem Scheppern umgeworfen – ganz wie es The Who damals an jedem Mittwoch im Londoner Marquee Club und später im Fernsehen gemacht haben. Im swinging London Mitte der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts war manches noch anders …

Sämtliche Gewinne aus dem Verkauf der CD sollen in Projekte der Altenhilfe fließen. Die CD ist seit Neuestem im Handel, das Lied gibt’s auch bei diversen Onlineshops. Der Videoclip wird garantiert bei Viacom-MTV rund um die Uhr laufen. Im Internet ist der Clip schon seit einer Weile zu sehen. Video und Song wurden in den „Abbey Road“-Studios aufgenommen, wo auch die Beatles ihre gleichnamige LP einspielten. Das Coverfoto zeigt die Beatles auf dem Zebrastreifen – so wie die Zimmers, die jedoch mit einem Rollator vorneweg.

So wie es aussieht, ist von den Zimmers und auch von Peter Oakley in Zukunft noch einiges zu erwarten. Oakley ist auch mit 79 noch Motorradfan – hat aber nach eigenem Bekunden weder Tattoos noch Piercings. Im Herbst soll es auf Europatournee gehen. Für das Konzert in Berlin ist Außerordentliches geplant: Besucher über 60 werden gratis verpflegt und erhalten ein Schnitzel mit Sauerkraut. Guten Appetit!

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