„Das ist Massenkinderhaltung“

Die Verlagerung der Horte von Schülerläden an die Schulen verschlechtert systematisch in ganz Berlin die Bildungssituation, sagt Roland Kern vom Dachverband der Kinder und Schülerläden (DaKS)

ROLAND KERN, 38, ist Elektriker, Historiker und Sprecher des Dachverbandes Berliner Kinder- und Schülerläden

taz: Herr Kern, Sie protestieren gegen die Schließung von freien Schülerläden. Aber ist es nicht besser, das Hortangebot in und nicht neben der Schule anzubieten?

Roland Kern: Wenn die Qualität stimmt: vielleicht. So ist es aber nicht. Die Offene Ganztagsgrundschule ist häufig eine Mogelpackung, die in der Berliner Praxis auf eine schlechte- re Bildungsqualität hinausläuft. Die Grundschule an der Marie, um die es aktuell geht, ist derzeit weder räumlich noch konzeptionell in der Lage, wie eine Ganztagsschule zu arbeiten. Dort entstünde, wenn unsere Läden um die Schule herum geschlossen werden, ein riesiger Hort mit über 300 Kindern. Und das in Räumen, die schon jetzt für 180 Kinder zu eng bemessen sind.

Trotzdem: Ist das im Prenzlauer Berg nicht der Luxusprotest der white middle class? Die sich zu schade ist, ihre Kinder in den Schulhort zu schicken?

Auch Prenzlberger Kinder haben ein Recht auf gute Schule. Und wenn sich Eltern und Erzieher überdurchschnittlich engagieren, dann sollte die Stadt sich die Finger danach lecken – egal wo. Die von Senat und Bezirken überstürzte Verlagerung aller Horte in die Schulen verschlechtert systematisch die Bildungssituation in ganz Berlin. Dagegen wehren wir uns – und zwar berlinweit. Im Prenzlauer Berg hat sich die Situation mit der massiv steigenden Zahl der Erstklässler jetzt nur besonders zugespitzt. Und in dieser Situation sollen die Kinder aus funktionierenden Schülerläden in die Schulen gezwängt werden. Pardon, ich nenne das Massenkinderhaltung.

In anderen Bezirken wurden die Schülerläden doch auch geschlossen.

Und der DaKS fand das auch dort falsch. Die Schülerläden bieten ausgefeilte pädagogische Konzepte an. Öffnung der Schule in den Kiez, besondere Profile, kindgerechte Strukturen, enge Einbindung von Eltern, zusätzliche Ressourcen durch bürgerschaftliches Engagement. Das bieten Schülerläden und das sollte man nicht zerstören, sondern für die Schulen nutzbar machen. Wir können mithelfen, aus den Berliner Grundschulen gute Ganztagsschulen zu machen.

Warum hört nur keiner auf Sie, wenn Sie recht haben?

Das frage ich mich auch. Man kommt sich vor wie in Kafkas „Schloß“: Alle halten Sonntagsreden über gute Bildung – aber wenn’s konkret wird, dominieren Sparinteressen über pädagogische Konzepte. Bis heute hat den Eltern niemand erklärt, wie es denn mit guter Qualität langfristig weitergehen soll. Bezirk und Senat schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Seit Januar sind die Schülerläden im Unklaren über ihre Zukunft – und dann kommt aus heiterem Himmel der Räumungsbefehl.

Was muss passieren, damit ein gutes Hortangebot im Prenzlauer Berg entsteht?

Zunächst mal sollen die guten Horte erhalten bleiben. Die Trägerverträge müssen jetzt verlängert werden. Der Bezirk muss sich eindeutig für den Erhalt der Schülerläden positionieren und der Senat seine ideologische Haltung gegen kleine freie Hortträger aufgeben. Auch in anderen Bezirken wäre es jetzt noch möglich, Schülerläden vor der Schließung zu bewahren. Wir entwickeln gerade gemeinsam mit dem Senat ein „Berliner Bildungsprogramm für die Offene Ganztagsgrundschule“. An dessen Grundsätzen muss man sich orientieren, wenn die Hortverlagerung kein Flop werden soll.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER

DaKS und die Schülerläden laden heute zu einem Aktionstag an der Marie ein.